Fenster

 Wenn ich meine Texte verfasse, sitze ich am Schreibtisch mit Blick aus dem Fenster. Jetzt, in dieser frühen Frühlingszeit, sind die Zweige mit nur jungen grünen Blättchen bedeckt. Meine Aussicht bis hin zur Straße ist von daher gut.

Harmlose Fenster

Ich beobachte gerne Leute. Es ist ein Laster, sicherlich sehr verwerflich, aber ich liebe es. Ich höre ihnen auch gerne zu, wenn sie sich jenseits der Büsche oder im Bus hinter mir unterhalten. Man lernt auf diese Weise viel Neues. Es ist nicht unbedingt weltbewegend und natürlich gar nicht für mich bestimmt. Aber ich sammle diese Informationen leidenschaftlich gern.

Wer mich entdeckt, sollte mir mein Lauschen und Schauen, bitte, nachsehen. Ich bin harmlos, ganz bestimmt.

Verspiegelte Fenster

Es ist wahrscheinlich eine unter Schriftstellern verbreitete Unsitte, dieses Aufsaugen von Details aus dem Leben anderer. Womit ich auf den gleichnamigen Film „Das Leben der anderen“ mit Ulrich Mühe komme. Mühe spielt darin einen Stasi-Offizier , der sich in sein Beobachtungsobjekt verliebt. Der Offizier verfolgte das Leben dieser Frau über einen längeren Zeitraum, er wusste viel über sie und konnte sich seiner Gefühle für dieses „vertraute“ Objekt nicht erwehren.

Die Fenster solcher Beobachter sind nicht klar und von beiden Seiten durchsichtig wie unsere Allerweltsfensterscheiben. Eine Seite ist verspiegelt, was es dem Objekt der Beobachtung schwer bis unmöglich macht zu erkennen, dass es beobachtet wird. Das mag auf mache Beobachter einen besonderen Reiz ausüben, das Vertrauen des Objekts wird auf jeden Fall missbraucht.

Abbitte an diejenigen hinter den Fenstern

Diese Schwäche vieler Schriftsteller oder Maler, beobachtend durch die Welt zu gehen und das Beobachtete später kreativ zu verwenden, trägt meistens Früchte, welche die einst Beobachteten in Form eines Gedichts, eines Buches oder Bildes genießen. Was sie dann lesen, sehen oder hören ist nicht mehr, oder nur noch selten, exakt das, was einst aufgesogen wurde. Sie sollten sich sich oder die Situation nicht wiedererkennen können, nur vage Zustimmung empfinden, dass es so kommen kann wie beschrieben. Das Aufgenommene durchläuft einen inneren Verarbeitungsprozess, eine Fermentierung vielleicht, und kommt als Idee oder Detail für eine kreative Arbeit eines Tages wieder zum Vorschein.

Kinder lernen viel durch Beobachtung. Ihnen wirft dies niemand vor. Auch Schriftsteller und andere Kreative lernen, wenn sie das Leben ihrer Mitmenschen aufzeichnen. Ansonsten könnten sie ihre Ideen nicht finden und, einmal gefunden, nicht weiterentwickeln. Fenster zur Straße, Fenster zum Hof, Fenster in die Gärten unserer Nachbarn, sie alle sind Forschungsstationen. Und wirklich jeder einzelne von uns ist ein Forscher.

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