Leseprobe „Die ritterlichen Fischer“

Teil 1

Eine sehr alte Urkunde, vom Nicolaustag 1302 zu Woltin in Pommern, überliefert uns die Schlichtung eines jahrelangen Streites um die Fischereirechte am Woltiner See. Lassen wir zunächst den lateinischen Urkundentext, übersetzt und im wesentlichen zusammengefasst, selbst sprechen:

„Wir, Johannes, genannt Bokemann, Vogt des erlauchten Herzogs Otto (I.) von Stettin, und (es folgen die Namen von sechs ritterlichen Beisitzern) geben allgemein bekannt:

Alle Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten, die immer wieder aufgekommen sind zwischen dem ehrwürdigen Herrn Dithmarus, Abt zu Colbatz mit seinem Konvent einerseits, und den ehrenwerten Knappen Hermannus, Theodericus, Lambertus und Bartolomäus, genannt de Borneke, sowie Arnoldus und Johannes, genannt Velthane, und auch Paulus, Petrus, genannt de Locstede und ihren Freunden andererseits, sind durch unsere Vermittlungen und Beschwichtigungen in folgender Weise beigelegt: Die Knappen haben für sich, für alle ihre männlichen und weiblichen Verwandten und Freunde, samt ihren Erben, auf alle Einnahmen, Nutzungen und Fischereirechte verzichtet, die ihnen bisher zustanden — aufgrund jedweder Privilegien, die ihre Vorväter jemals von einem Abt erlangt haben — im Woltiner See und in den übrigen, von ihnen beanspruchten, Seen und Gewässern. Gegen diesen Verzicht wird Herr Dithmarus, Abt zu Colbatz, im Namen seines Konvents, den Knappen und ihren Verwandten in diesem Jahr vierhundert Mark an blanken Denaren geben, zahlbar mit je einhundert Mark an vier bestimmten Terminen. Für pünktliche Auszahlung haben gebürgt: Dominus Ludolfus de Scheninge, Wolfardus de Koldenbeke und Heynemannus, prefectus in Beliz. In Vertretung der dominorum famulorum (Knappen) wird diesen Betrag jeweils Dominus Polonus de Olebowe oder Nicolaus dictus Velthane vom Abt in der Stadt Woltin erhalten. Wir (nun nennen wir die Namen) der Vogt, Wilhelmus dictus Drampe, Theodericus dictus Luchte, Reyberus de Parmen, Johannes dictus Polonus, Nicolaus Velthane und Theodericus dictus Papendorp, geben unseren Beschluss zu erkennen, dass Theodericus de Borneke die Lehngüter, die er vom Kloster inne hat, frei behalten soll, wie er sie bisher besass, und dass er nicht verpflichtet ist, dem Abt ein Pferd zu stellen oder es in Geschäften des Klosters zu reiten. Dieser Anordnung und diesem gütlichen Vergleich lassen wir unsere Siegel zur Bekräftigung anhängen. Die Zeugen (alle, wenigstens mit einem Vornamen genannt) sind — Der Prior mit vier Oberen und drei Mönchen, fünf domini plebani in Dammis, Woltin, Woltersdorp, Zilslowe, und Binow, clerici, dominus Henningus de Hindenborch, die domini Otto Drako, Ludolfus de Scheninghe und Gerardus de Bertikow milites, Heynemannus de Stekelyn, Johannes prefectus in Piritz, Petrus Niencop, Hinricus Struz, Calf cives daselbst, der prefectus in Griphenhaghen, Gerardus de Foro, Nicolaus de Lyndowe, cives daselbst, Albertus de Ysingher, Fardus de Reno, Eeynemannus de Valva cives in Dammis, Symon de Clebowe, Nolfardus de Kolenbeke, Heynemannus de Belitz prefectus, die prefecten in Borin und in Gardena und andere Glaubwürdige mehr. Dies ist verhandelt zu Woltyn anno domini MCCCII, am Tag des heiligen Nicolaus, des Bischofs und Bekenners.“

(Wir bringen hier alle im Text enthaltenen adeligen und bürgerlichen Familiennamen in textgerechter Reihenfolge.)

Die Urkunden-Aussage über den Streitfall, seine Schlichtung und die streitenden Parteien

– Karten-Skizze A –
Karte A groß

Die Urkunde 101) schildert zwar recht anschaulich den langwierigen Streit und seine Schlichtung, enthält jedoch keine genauen Angaben über den Umfang der althergebrachten Privilegien — vor allem über die exakten Begrenzungen der einbezogenen Woltiner Gewässer. Diese Unklarheiten haben offenbar die Streitigkeiten verursacht. Der Text verzeichnet auch nicht die Zeitpunkte (Daten), zu denen einst die Vorrechte erlangt wurden. Ferner erfahren wir nicht, ob die Vorväter aller drei Familien, oder nur einzelner, erwähnt sind und ob diese Vorväter (wie zudem auch die Knappen selbst) nur einer oder mehreren Generationen zuzurechnen sind. Dagegen ist ersichtlich, dass die Knappen jeweils Angehörige ganzer Familien sind. Ihre Wohnsitze bleiben jedoch ungenannt. Wir können sie vornehmlich im Umkreis der aufgeführten Orte suchen, die, wie sorgfältig erforscht ist 1), meist zum weit verstreuten Klosterbesitz gehören. Die Urkunde zählt die ungewöhnlich große Anzahl von 43 benannten Zeugen auf — ein Zeichen, dass die Angelegenheit beiden Parteien außerordentlich wichtig ist.

Genau betrachtet, beurkundet der Text keinen gegenseitigen Vergleich, sondern eine herzogliche Anordnung an beide Parteien, nach Anhörung und Erörterung der gegenseitigen Standpunkte, sowie Beschwichtigungen des Vogts und seiner Beigeordneten. Der Abt muss offenbar diesen Schiedsspruch annehmen — er besiegelt ihn seinerseits nicht. Er erreicht wenigstens eine Auszahlung der festgesetzten Abfindungssumme in vier Teilbeträgen — der Gesamtbetrag ist für das wohlhabende Kloster sichtlich eine erhebliche Belastung. Es ist — eine gerechte Bemessung vorausgesetzt — anzunehmen, dass die Abfindungssumme dem Nutzwert der Fischerei in den Woltiner Gewässern tatsächlich entspricht. Auch dieser Nutzwert muss daher als sehr erheblich geschätzt werden.

Vergleichsweise finden wir, dass im Juni 1301 drei Dörfer nördlich der Stadt Wollin mit insgesamt 313 Mark bewertet sind 102) und dass im Dezember desselben Jahres der Stadt Stralsund das Eigentum des Dorfes Vogelsang für 200 Mark verkauft wird. 103) Bei allen Vorbehalten, die heutzutage bei derartigen Schätzungen sehr alter Werte am Platze sind, dürfte daher der Nutzwert der Woltiner Fischerei einem Geldbetrag damaliger, üblicher Münze gleichkommen, der um 1300 aufzuwenden ist, um mindestens zwei bis drei Dörfer mit allem Zubehör anzukaufen. Der Woltiner See, heute mit einer Wasserfläche von rund 3 qkm, wird um 1800 von Brüggemann 2) als sehr fischreich beschrieben — zusammen mit dem anschließenden Burgsee ist der Woltiner See damals an vier Fischer verpachtet; außerdem werden zu diesen Gewässern noch weitere vier kleinere Seen gerechnet. Es ist anzunehmen, dass in alter Zeit, um 1300, alle diese Wasserflächen viel ausgedehnter sind; der harte Streit damals verrät, dass die Fischerei dort sehr ergiebig ist. Die Fischausbeute geht offensichtlich weit über das übliche Maß gelegentlichen, waidgerechten Fischfangs ritterlicher Herren und auch über den Bedarf dreier großer Familien hinaus. Zur Bewältigung einer solch ausgedehnten Fischerei setzen die Knappen vermutlich (von ihnen abhängige) slawische Fischer ein, welche dann wohl die Fische — unter Aufsicht der Knappen — auf dem Woltiner Markt verkaufen.

Wir sehen die Knappen daher als zusammenwirkende „Fischereiunternehmer“ an, die solche Tätigkeit mindestens nebenberuflich ausüben. Außerdem haben sie vermutlich Lehngüter inne: Theodoricus de Börneke ist (er allein) als Klosterlehnsmann mit Verpflichtungen geschildert, von denen er nunmehr (teilweise?) befreit wird. Da die Knappen der Weisungsbefugnis des Vogts unterstehen, müssen wir sie zu den herzoglichen Lehnsleuten rechnen, selbst wenn ihre Güter in der Urkunde nicht erwähnt werden. Indessen bilden die Knappenfamilien sichtlich eine von der übrigen ritterlichen Gesellschaft ziemlich isolierte Gruppe, die, nach Vorväterart, bisher sehr zurückgezogen in den Wäldern und an den Seen der Woltiner Gegend lebt. Ihre Mitglieder sind in keiner sonstigen Urkunde, etwa als Zeugen, genannt; sie treten im herzoglichen Dienst nicht nachweislich hervor, obwohl ihr bestätigter Knappen-Stand sie dazu befähigt. Wir müssen daher annehmen, dass ihre Väter und sie selbst sich von den ritterlichen Aufgaben allmählich entfernt und dass sie sich immer mehr ihrer Fischerei zugewandt haben. Sie scheinen uns daher den ritterlichen Herren in der Stadt Stettin vergleichbar zu sein, die sich zu dieser Zeit speziellen Tätigkeiten oder dem Handel widmen und so auf dem Wege sind, ein städtisches Patriziat zu bilden. 3) Die bisherige Sonderentwicklung wird jedoch für unsere Knappen mit dem Woltiner Schiedsspruch beendet: der auferlegte Verzicht auf die Fischereirechte bedeutet für ihre Lebensführung eine entschiedene Wende. Ratschläge und Hilfsversprechungen dazu gehören wohl zu den erwähnten Beschwichtigungen des Vogts und seiner Ritter.

Der Tag von Woltin hat aber auch, so vermuten wir, einige Bedeutung für die kleine Stadt, die damals schwer um ihre wirtschaftliche Entwicklung kämpft. Es ist bekannt, dass das Kloster Kolbatz den schon um 1212/13 erworbenen Ort 1255 zur Stadt mit Marktrecht erhebt. 4a) Herzog Barnim I. entzieht jedoch Woltin 1283 diese Rechte wieder, zugunsten seiner neuen Stadtgründung Greifenhagen 4b, die er sogleich mit Marktrecht und Fischereirechten an der Oder ausstattet. Trotzdem lassen die Woltiner Bürger nicht nach, die seither günstige Entwicklung ihrer Stadt weiter zu betreiben — sie werden dabei vom Abt unterstützt. Es liegt nahe anzunehmen, dass er die nun freigewordenen Fischereirechte an seine Bürger neu vergeben will — gegen Erstattung der Abfindungssumme, deren Raten ohnehin in der Stadt Woltin ausbezahlt werden sollen. Diese Annahme ist urkundlich nicht belegt. Nicht zufällig indessen sind unter den Zeugen unserer Urkunde auch der Prefekt von Griphenhagen mit zwei dortigen Bürgern aufgeführt — offenbar zugezogen von der herzoglichen Seite. Damit wenden wir uns nun dem Vogt und seinen Rittern zu.

Der Vogt und die Ritter vom Woltiner Tag

In Woltin treffen wir am Nicolaustag 1302 eine sehr zahlreiche Gesellschaft — auch weiterhin wird unsere Skizze sehr viele Personen aufzeigen. Dazu bemerken wir vorab: Die gegenseitige Zuordnung von Personen gleichen Namens (Namensträger) geschieht stets lediglich unter der Vermutung, dass der gleiche Name auch einen verwandtschaftlichen (genealogischen) Zusammenhang bedeutet. Genealogische Verbindungen, soweit sie noch nicht erforscht sind, können wir hier allerdings nicht erstmals nachweisen. Immerhin werden wir, nach dieser Vorbemerkung, die Bezeichnung „Namensträger“, die meist anzuwenden wäre, möglichst vermeiden können.

Ein Blick in die Namensregister des Pommerschen Urkundenbuches (PUB) zeigt, dass der Vogt und die ihm beigeordneten Ritter Namen pommerscher Adelsfamilien tragen und dass die meisten der versammelten Herren in den Urkunden mehrfach genannt sind. Ihr Herzog, Otto I. von Stettin, jüngster Sohn des Herzogs Barnim I., des „Städtegründers“, hat erst 1296 das ererbte Herzogtum Pommern mit seinem Bruder, Herzog Bogislaw von Wolgast, geteilt — beide regieren, gestützt auf bewährte Vögte, ihre weiten Gebiete.

Johannes Bokemann (Bökemann, de Böke, Boke), dessen Name schon 1267 erscheint 104), waltet von 1301 bis 1310 105) als Vogt Otto I. und ist in seiner Umgebung noch bis 1320 106) häufig genannt. U.a. hat seine Familie 1305 201) ein Lehngut in Hohen-Selchow inne. Der Vogt selbst verkauft 1313 das Dorf Groß-Richow an das Kloster Kolbatz 202): nördlich des Dorfes hat die gleichnamige Familie von Böck noch 1628 5a) Güter.

Der Landesteilungsvertrag 1295 107) trägt u.a. auch die Unterschriften der maßgeblich mitwirkenden Ritter Otto Drake und Wilhelmus Trampe. Seit 1280 6 und auch beim Friedensschluss von Vierraden, 1284, im Gefolge Bogislaws auftretend, kommt Wilhelmus Trampe zu erheblichem Grundbesitz in der Uckermark und nördlich von Stettin bei Hagen (Kuhhagen) und Jasenitz. Seine Nachkommen haben noch 1628 5b) Güter in Pommern, sind dort jedoch später erloschen. Bei Hagen sind vor allem, seit 1243 108), die Luchte reich begütert. Ritter Gobelo Luchte, Marschall Barnims I., gründet mehrere Dörfer 203); er überträgt, z.T. als Stiftungen, große Ländereien an das Chorherren-Stift (der Kongregation St. Victor zu Paris), das damals in die Gegend von Jasenitz verlegt wird (1276 204)). Sein Sohn, Theodoricus Luchte, ist 1302 Beigeordneter des Vogts in Woltin; ein gleichnamiger Verwandter, oder Theodoricus Luchte selbst, dient von 1295 — 1313 Otto I. als Marschall. 109) Otto Drake wirkt um 1200 205) als Stadtherr in Pölitz (n. Stettin). Die Koldenbeke, seit 1267 110) im Dienste der Herzöge, haben bis 1277 111) ebenfalls bei Hagen, Lehngüter. Eberhard ist seit 1278 112) Marschall, Wolfardus Koldenbecke bürgt 1302 zu Woltin für die festgesetzte Abfindungssumme. Johannes, dictus Polonus (aus adeliger Familie), Kaplan Ottos I. 113), sehen wir als Mitverfasser unserer Urkunde in Kirchenlatein an. Die Herren de Clebowe kommen schon seit 1242 114) vor, Dominus Polonus de Clebowe, 1300 115) in Stettin auftretend, soll künftig die Teilzahlungen an die Knappen überbringen. Zu den Beigeordneten des Vogts gehören noch 1302 Reybertus de Parmen (sein Name verrät Uckermärker Adel 7)), Nicolaus Velthane und Theodoricus Papendorp. Dass diese drei Herren beigezogen werden, spricht für ihr Ansehen am Herzogshof; mehr ist von ihnen nicht überliefert. Es fällt uns heute indessen auf, dass Nicolaus Velthane, obwohl gleichen Namens mit zweien der streitenden Knappen, doch der Schlichtungskommission angehört. Diese setzt sich, im ganzen überblickt, zusammen aus: dem Vogt Bokemann mit den Rittern Trampe und Luchte, alle drei reiche Grundbesitzer, dem Kaplan und den drei eben genannten Rittern Parmen, Papendorp und Velthane.

Diese, vermutlich ohne größere Lehngüter, — die Urkunden verraten darüber nichts — jedoch dem herzoglichen Hof nahestehend, rücken enger an die Seite unserer acht Knappen, schon allein durch die Tatsache, das alle diese (insgesamt elf) ritterlichen Herren nur ein einziges Mal, am Nicolaustag 1302, urkundlich auftreten. Vielleicht sind die drei Ritter erst verhältnismäßig kurz zuvor nach Pommern-Stettin gelangt. Für die Knappen Börneke, Velthane und Locstede bleibt zu vermuten, dass sie im Vergleich zur übrigen Ritterschaft Außenseiter sind. Zu ihren Gunsten bürgt indessen — entsprechend dem Schiedsspruch (1302) — Dominus Ludolfus de Scheninge, gemeinsam mit Wolfardus de Koldenbeke und einem Prefekten, für die dem Kloster auferlegte Abfindungssumme, ein Beweis für die Wohlhabenheit der drei Bürgen. Die Schöning haben 1286 116) gemeinsames Eigentum in Pyritz — ein Familienzweig nennt sich damals nach dem links der Oder (im Kreis Randow) gelegenen Dorf Karo „de Carow“. 1326 117) gehört zu den Zeugen 0ttos I. „Henricus Schenige, nostre curie marschallus“. Später, 1331 206) und u.a. 1392 207), sind die von Schöning wieder in der Pyritzer Gegend — zeitweise als Kolbatzer Lehnsleute — sehr reich begütert. Sie gehören bekanntlich zu den ältesten pommerschen Adelsfamilien. Als der erste ihres Geschlechts in Pommern gilt Conradus de Scheninghe, einer der Zeugen, als Herzog Barnim I. die neue Stadt Stargard mit Besitz und Rechten ausstattet. Diese Beurkundung lässt sich nur annähernd auf den Zeitraum von 1249 — 1253 118) datieren. Dominus conradus de Sceninghe ist aber auch anwesend, als der Herzog im Jahre 1250 einem auswärtigen Kloster eine bedeutungsvolle Schenkung macht. Dieser Begebenheit — inmitten der Zeitereignisse — wird in der Folge unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. Zuvor aber werfen wir kurz einen Blick auf die Spuren neuer Wege, die einige Herren Velthane und de Locstede nach dem Tage von Woltin eingeschlagen haben, während selbst solche Spuren von den Herren de Borneke fehlen.