Leseprobe Das tote Haus

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Der Pointner-Hof stand, von Wald und Wiesen und Ackerland umgeben, auf denen längst keine Pointner-Knechte mehr arbeiteten, ganz einsam dicht am Ufer der Traun. Fast ein Menschenalter lang wohnte niemand mehr in dem festen Bau, der noch vor den Bauernkriegen entstanden war. Seltsame Geschehnisse hatten ihn verrufen und gemieden gemacht, und erst seit ein alter Professor ihn auf einer Wanderung entdeckt und sich sofort in ihn verliebt hatte, kehrte das Leben wieder in den mauerumgürteten alten Edelsitz ein. Für einen lächerlich geringen Preis hatte ihn Professor Brenner samt all dem köstlichen Hausrat und vollen Schränken und Truhen erworben, die — ein Zeugnis für den Wohlstand der einstigen Besitzer — an den holzgetäfelten Wänden der traulichen Stuben standen.

An einem Maimorgen war der Pointner-Hof aus dem Besitz des Oberlehrers Anton Pointner in Linz in den des Professors übergegangen, und jetzt, im Hochsommer, hatte sich der alte Herr schon so ganz in dem einsamen Haus eingelebt, daß er gar nichts mehr von all dem entbehrte, was die Großstadt ihm geboten hatte. Auch hatte er sich von dieser schon ganz losgelöst, hatte seinen dortigen Hausstand aufgegeben und fand, daß es ihm in seinem ganzen langen Leben niemals wohler gewesen als hier zwischen diesen festen Mauern, wo er seinen wissenschaftlichen Arbeiten leben konnte, wo keine Besuche und kein Straßentrubel ihn störte, wo nur die Bäume sich regten und Vögel sangen und die Wellen an das felsige Ufer rauschten.

Ganz einfach und wie selbstverständlich war der für ihn so vorteilhafte Kauf abgeschlossen worden. Brenner hatte dabei nur mit dem Bürgermeister des Dorfes, zu welchem der Pointner-Hof gehörte und das Leiten hieß, zu tun gehabt, und nachdem etliche Handwerker und Katharin, Brenners tüchtige alte Wirtschafterin, ein paar Wochen in dem lieben alten Bau herumgewirtschaftet hatten, gab es auch für sie sowie für ihren Gebieter kein behaglicheres Fleckchen mehr auf der Welt, als den so lang verlassen gewesenen Pointner-Hof.

Wenn etwas des Professors und seiner Katharin Behagen noch steigern konnte, war es der Umstand, daß seiner Schwester Sohn, der blonde Heinz, ein junger Lehrer, die Ferien bei ihnen zubrachte, ebenfalls über das Haus, seinen Inhalt und seine Umgebung entzückt war und das herrliche Wetter mit ihnen genoß. Aber man war im Salzkammergut im Lande des Schnürl-Dauerregens, und der stellte sich eines Tages ein.

Heinz fühlte sich trotzdem, gleich den andern, im Pointner-Hofe außerordentlich wohl, er fand es sogar riesig gemütlich, daß man jetzt so beieinander bleiben musste, und fühlte sich ganz besonders behaglich, wenn er nach dem Abendessen rauchend in seiner Stube saß und irgend etwas Hübsches las — während sein Oheim ein paar Stuben weiter an seinem Werke über alte Münzen arbeitete, die Katharin mit der Söllinger, die den Pointner-Hof in seinen verlassenen Tagen betreut und die Brenner mit diesem übernommen hatte, in der Küche unten plauderte.

Dazu trommelte der Regen an die vielen kleinen Tafeln der Fenster und umsauste der Wind das Steildach. Oh, es war auch zu solchen Zeiten gut sein im Pointner-Hof! Heute saß Heinz Thorn im Ohrenstuhl am Tische und las in einer alten, schon ganz mürbe gewordenen belletristischen Zeitschrift, die ihm der Lehrer von Leiten, dem Dorfe, zu dem der Pointner-Hof gehörte, geliehen hatte.

Heinz las schon ziemlich lang und hatte manch Hübsches auf den vergilbten Blättern gefunden.

Am Schlusse einer Nummer angelangt, fiel ihm die Überschrift zu einem Gedichte auf.

„Das tote Haus, “ stand da.

Er las weiter, und als er etwa die Hälfte der balladenartigen Dichtung gelesen hatte, geschah etwas immerhin Absonderliches, erhob er sich hastig, setzte er sich ebenso hastig wieder hin, legte die Zigarre ganz mechanisch auf den Aschenbecher und las weiter. Und als er zu Ende gekommen, las er das Gedicht sehr langsam noch einmal. Er tat es halblaut, und sein Gesicht war dabei heiß geworden, und seine Augen glänzten mehr als sonst. Und als er aufstand und den Weg zum Fenster nahm, streifte er zweimal, merkwürdig verträumt lächelnd, die Täfelung der Zimmerwand und tat dann das Fenster auf, beugte sich trotz des strömenden Regens weit hinaus und ließ seine Blicke über die freilich fast ganz dunkle Umgebung des Hauses wandern.

Lang stand er so und starrte in die Nacht hinaus, dann saß er wieder vor der Zeitschrift und las zum drittenmal das Gedicht.

Dieses aber lautete:

„Ich weiß ein Haus, da wär’s gut sein,

Wenn’s nicht verwunschen wäre.

Es steht verschlossen und allein

An eines Weges Kehre.

Der Bundschuh, der ging um im Land,

Als es entwuchs der Erde.

Der es erbaut, der wollte, daß

Ein trutz’ger Bau es werde.

Es wohnten Glück und Leid darin,

Wie es schon geht hienieden;

Die letzten, die darin gehaust,

Die hat das Glück gemieden.

Ein Häuslein, wie ein schüchtern Kind

Steht auch dort in der Ecke.

Ein Weinstock, roter Beeren voll,

Ist seine grüne Decke.

Ein Brünnlein, das einst die erquickt,

Die dieser Bau umschlossen,

Im Schutz der Mauer rinnt es hin

Zur Straße unverdrossen.

Vom Söller oben kannst du froh

Die weite Landschaft grüßen.

Der Traunstein schaut auf dich herab,

Die Traun rauscht dir zu Füßen.

Die Stuben niedrig, eng, doch traut,

Die Wände holzverkleidet,

Der Hausrat echte Bauernart,

D’ran sich das Auge weidet.

Man meint, hier konnte auch dereinst,

Nur tiefer Frieden wohnen,

Hier mußte stets ein gutes Tun

Sofort das andre lohnen.

Ein Irrtum ist’s. Hier wohnten einst

Die schlimmsten aller Triebe,

Der Argwohn und ein sünd’ger Haß

Und eine sündige Liebe.

Darum zog Stille in das Haus

Und Öde und ein Schweigen,

Darum wächst Gras vor seinem Tor,

Zu dem sich Disteln neigen.

Darum liegt Staub auf seinem Flur

Und Staub auf seinen Stufen,

Darum weicht ihm der Wanderer aus,

Sind Haus und Hof verrufen.

Von Mord und von geheimen Ding

Raunt manche dunkle Sage,

Und Raben flattern um das Haus

Am Allerseelentage.

Der letzte, dem in diesem Haus

Das Leben ward beschieden,

Erzählte mir voll bitt’rem Leid,

Daß es das Glück gemieden.

Daß er dem Vaterhause fremd,

Ja — feindlich sei geworden,

Daß er viel lieber stets als dort

Gelebt an andren Orten.

Die ihn gebar, verließ es auch,

Man munkelt, nicht alleine,

Darüber aber kam der Sohn

Mit Willen nie ins reine,

Denn sie, die zärtlich er geliebt,

Woll’t er nicht richten können.

War sie die einz’ge immer ja,

Der galt sein traurig Sehnen —

Manch Jahr verging, seit er ganz fern

Dem Vaterhause lebte,

Als unter einem neuen Schlag

Sein junges Herz erbebte.

Sein Vater — ward berichtet ihm —

Sei ihm nun auch verloren.

Ein Mordhaus ward vielleicht das Haus,

Darinnen er geboren.

Es fand sich Blut an seinem Tor,

Es gab somit da Wunden.

Es wurde, wie sein vieles Geld,

Der Bauer nicht gefunden.

Viel Jahre gingen dann vorbei,

Am Haus, das öd geworden,

Und nun gehöret es schon längst

Zu den verruf’nen Orten.

Ein alter Knecht hält dabei Macht,

Ein Mann mit weißen Haaren,

Der einstmals es hat miterlebt,

Was hier geschah vor Jahren.

Sein Blick ist müd’, sein Mund ist stumm,

Er schweigt auf meine Fragen

Nach all dem Schrecklichen, das hier

Sich einstmals zugetragen.

So geh’ ich denn, du alter Bau,

Aus deinen stillen Räumen.

Und will beim Weiterwandern noch

Von deinem Schicksal träumen.

So fest du bist und stolz gefügt,

Kannst du das Glück nicht halten,

Bist jetzt gemieden, bröckelst ab,

Erliegst der Zeit Gewalten.

Es will dich keiner; ganz allein

Mußt du für dich hier stehen,

Von manchem Auge furchterfüllt

Und ängstlich angesehen.

Ich glaub’ es auch, was mancher raunt,

Daß hier der Mord gelauert,

Daß hier im Winkel irgendwo

Noch ein Geheimnis kauert.

Dietrich Naunthaler, Linz. “

Heinz Thorn starrte vor sich hin. Was er da gelesen, stimmte alles ganz genau auf den Pointner-Hof. Bis auf die roten Beeren auf dem Dache des einen Nebenhäuschens und den alten Mann, der vor Jahren als letzter Pointner-Knecht und Wächter des Anwesens darin gestorben war, stimmte es. Und daß der Pointner-Hof gemieden war und als verrufen galt, seit seine letzte Herrin daraus geflohen und eine Zeit später auch ihr Mann verschollen war, das hatte Thorn von seinem Kollegen im Dorfe erfahren.

Er mußte jetzt daran denken, und es wurde ihm dabei unangenehm zumute. Aber recht war es ihm, daß er zu seinem Oheim nicht davon gesprochen hatte und daß es diesem offenbar noch niemand gesagt, in welchem Rufe das Haus stand, das merkwürdigerweise Jahrzehnte hindurch leer geblieben, das, trotzdem es lächerlich wenig kostete, niemand hatte kaufen wollen und das der alte Herr gerade wegen der großen Gemütlichkeit pries, die darin herrschte. Nein, es sollte ihm diese Stimmung nicht genommen werden. Der Pointner-Hof war ihm ja schon so ans Herz gewachsen, daß er sein Stadthauswesen auflösen und auch im Winter hier leben wollte. — Das bedachte Thorn, versperrte die entliehenen Zeitungen und ging zur Ruhe. Aber der Schlaf kam noch lang nicht zu ihm.

Und als er sich schließlich doch einstellte, begleitete die letzte Zeile des Gedichtes Thorn in das für ihn diesmal recht düstere Traumland hinüber — die Zeile: „Noch ein Geheimnis kauert. “

 

 

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