Charles Dickens, der Autor von Oliver Twist, war das soziale Gewissen des viktorianischen England. Seine Bücher machten die Leser der Mittelklasse auf unhaltbare Zustände in Armenhäusern und Schulen aufmerksam und brachten das harte Leben armer Kinder vor die Augen von Menschen, die Armut gerne als Folge moralischer Schwäche deuteten. Aufgerüttelt durch Dickens Romane begannen einige Leser, für Verbesserungen zu kämpfen.
Das war vor gut zweihundert Jahren. Seitdem hat sich viel geändert. Ist es heute noch notwendig, dass sich Autoren mit sozialen Missständen auseinandersetzen? Ist es verkaufsfördernd, Ungerechtigkeiten anzuprangern?
Nun, Bücher, die anprangern, gibt es durchaus und sie verkaufen sich auch. Manche werden Bestseller. Bewirken diese Bücher etwas über den Kauf hinaus? Oder sind sie nur das kulturelle Feigenblatt von Medienhype?
Man hört oft, dass Bücher das Leben von Lesern verbessern. Wenn durch ein weitgehend unbekanntes Buch, auch nur ein Leser umdenke und seinen eigenen kleinen Beitrag gegen gesellschaftliche Missstände zu leisten beginne, dann habe der Autor sein Ziel erreicht.
Charles Dickens hat gezeigt, dass ein aufrüttelndes Buch nicht trocken und öde sein muss. Es kann unterhalten und spannend sein. Da dürfen sich Liebesgeschichten und Familienintrigen entwickeln. Auch Mord und Magie sind nicht verboten. Jeder Autor, gleich in welchem Genre er schreibt, muss sich fragen, ob er seinen Einfluss auf die Denkwelten der Leser nutzen möchte, um sie auf Missstände und Lösungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Leser von heute sind nicht anders als Leser vor zweihundert Jahren: durchaus wohlwollend und bequem. Die Sprache der Nachrichten erreicht sie vielleicht nicht, die Sprache eines spannenden Buches kann sie sehr wohl bewusster auf ihre Umwelt blicken lassen.