Was betrachten Sie als Ihr Lebenswerk? Was ist für Sie der Sinn des Schreibens?
Lebenswerk – das ist ein großes Wort. Wer beurteilt ein Leben? Wer richtet darüber?
Heute, wenn ich diese Zeilen schreibe, bin ich 58 Jahre alt. Wie lang wird meine Lebensspanne noch sein? Mutmaßlich 20 oder 25 Jahre, vielleicht mehr. In vergangenen Jahren reichte sie von 59 Jahren bei meiner Mutter bis zu begnadeten 101 Jahren bei ihrer Mutter. Ich bin überzeugt: Jeder Mensch hat eine eigene unverwechselbare Berufung vor Gott und den Menschen, eine Aufgabe, in die er hineingestellt wird. Die zeigt sich oft erst spät, langsam, über die Jahre, so wie auch bei mir.
Als Journalist schreibe ich meist Texte, die mit meinem Leben nur wenig zu tun haben und mich nicht berühren. Doch danach fragen Vermieter, Krankenkasse und GEZ nicht. Der Weg zu meiner Berufung wurde im Jahr 2006 geebnet, als ich im Nachlass meines Vaters eine Biografie fand, die er gezielt für mich geschrieben hatte. Ich ließ sie lange ungelesen liegen, könnte sie doch ein bis dahin unspektakuläres Familienidyll zerstören. Mein Vater hatte mit seinen Eltern zunächst in Holte und Westrhauderfehn, später in Bockhorst gelebt. Sein Text traf mich wie ein Faustschlag: Ich erfuhr, dass meine Großeltern in die Maschinerie des NS-Staates verstrickt waren, mein Großvater sogar in einem der Emslandlager. Mit der Unterstützung und dem Beistand vieler Menschen kam es schließlich 2017 zu einer Veröffentlichung. „Bubis Kinnertied“ ist die Aussöhnung mit meinem Vater und das Bekenntnis, dass ich als Kriegsenkel so vieles in der Familie erlitten habe ohne Schuld derjenigen, die es mir zugefügt haben. Gleichzeitig ist es der Auftrag, mein Engagement gegen jede Form von Rassismus und Faschismus mit den mir gegebenen journalistischen Mitteln fortzuführen – und das ist ganz naheliegend und einfach: Es gibt noch so viele mahnende Geschichten von Zeitzeugen, die erzählt werden wollen und bewahrt werden müssen. Das werde ich angehen. Das ist meine Lebensaufgabe.