Wer den Beitrag im englischen Original lesen möchte, kann das hier: Sommeraktion 2017 – What ist your life work, Vivienne Tuffnell?
Wie würden Sie Verity, die Hauptperson in Little Gidding Girl beschreiben?
Verity ist in gewisser Weise ein „verlorenes Kind“. Sie ist eine junge Frau von Mitte dreißig, verheiratet, mit einem Kind an der Grenze zum Teenageralter. Aber sie selbst ist sehr viel jünger als ihr Alter vermuten lässt. Sie ist beinahe ein Schatten oder ein Geist. Sie ist das Gegenteil anderer Charaktere, die ich geschaffen habe, etwa Chloe in Square Peg. Sie ist nicht bestimmt, sondern verzagt und schnell eingeschüchtert. Sie wird andauernd von ihrer Chefin Juliet herumkommandiert, und sogar ihre Tochter Rose neigt dazu, mit ihr herumzuspringen, wie es ihr passt. Aber ihr Name (Wie Sie es in Ihrer Rezension erwähnt haben) bedeutet WAHRHEIT, und im Grunde sucht sie genau die in ihrem erwachsenen Leben.
Können Sie deutschen Lesern etwas über die Gedichte, die in Little Gidding Girl erwähnt werden, erzählen?
Die Gedichte im Roman sind von T.S. Eliot’s Four Quarters (Burnt Norton, The Dry Salvages, East Coker and Little Gidding). Sie werden als vier Meditationen beschrieben, deren gemeinsames Thema das Verhältnis des Menschen zur Zeit, dem Universum und dem Göttlichen ist. Das Gedicht besteht aus vier Teilen. Ursprünglich wurden sie zu verschiedenen Zeitpunkten geschrieben, aber sie stehen in einem größeren Zusammenhang. So wie das Gedicht in vier Jahreszeiten aufgeteilt ist, ist es der Roman, aber eher fließend, nicht klar formuliert. Der Roman beginnt mit der Tag- und Nachtgleiche im Herbst und endet im Spätsommer des folgenden Jahres. Um mehr über das Gedicht zu erfahren, empfehle ich den kurzen, aber exzellenten Wikipedia-Artikel: https://en.wikipedia.org/wiki/Four_Quartets
„Was treibt Sie an zu schreiben?“ Glauben Sie, es gibt eine innere Kraft, die Sie antreibt?
Ja, das glaube ich. Ich bin aber nicht sicher, wie ich sie beschreiben soll. Manchmal ist es ein Gefühl, dass meine Stimme und das, was ich zu sagen habe, wichtig ist für die Welt jenseits meines Fensters. Manchmal, aber seltener, ist es treibender Zwang, dem ich nichts entgegensetzen kann, ein Phänomen, das ich als Schreibwahn identifiziert habe. Dieses Phänomen oder dieser Zustand wird entweder mit einer Form der Epilepsie (Temporallappen) oder mit einer Bi-Polaren Störung (worunter ich leide) in Zusammenhang gebracht. Typisch für diesen Zustand ist der Zwang zu schreiben, schreiben und nochmals zu schreiben. Die Betroffenen schreiben auf ihre Haut, wenn ihnen kein Papier zur Verfügung steht. Wenn sie nicht bereits an kreatives Schreiben gewöhnt sind, ist das meiste Geschriebene Unsinn, Unmengen Wortsalat. Aber erfahrene Autoren produzieren erstaunlich klare und oft gut geschriebene Texte. Die Leute finden es unglaublich, dass sich jemand einfach hinsetzen kann, um für einige Wochen zu schreiben, und dabei vielleicht einen Roman mit hunderttausend Wörtern zu produzieren, einen komplexen und kompliziert aufgebauten Text, und das ohne einen Teil davon geplant zu haben. Aber genau das ist mir einige Male passiert. Der menschliche Geist ist voller Geheimnisse und Wunder. Little Gidding Girl wurde in einer etwas weniger rasend Art und Weise geschrieben, aber es stammt aus einer Phase, in der die Wörter wie eine Flut aus mir herausbrachen.
Wo finden Sie Inspiration? Können Sie den Prozess von der Inspiration zum Text beschreiben?
Ich würde sagen, Inspiration kommt von einem Prozess der Beobachtung der Welt um mich, vom Lesen, vom Musikhören und vom Lauschen auf den Wind und die Vögel, und davon, all das tief in mein Unbewusstes sinken zu lassen, wo es fermentiert und gärt, bis etwas aus der Ursuppe aufsteigt. Der anfängliche Funken der Inspiration schleicht sich oft in eine Reihe Träume, die mich schließlich bei Tag verfolgen. Little Gidding Girl ist durch so eine Serie von Träumen in mein Bewusstsein gekommen, und dann war es ein weiterer Prozess, die Inspiration zu Papier zu bringen.
Es ist ein Prozess des Erkundens (auch ein Motiv in Four Quarters!). Ich weiß normalerweise nicht, wohin ein Buch führt, bis es dort angekommen ist. Ich habe niemals einen Roman richtig geplant. Ich ziehe in gewisser Weise meine Wanderschuhe an, packe Proviant für ein paar Tage ein und warte ab, wohin mich meine Füße tragen.
Schreiben Sie für einen bestimmten Leser oder eine bestimmte Gruppe Leser?
Das ist wirklich eine schwierige Frage. Während ich schreibe, frage ich mich nicht, wer meinen Text liest, erst nachher. Die Geschichte ist alles. Ich lasse sie sich schreiben, und erst danach überlege ich, wen sie vielleicht am besten anspricht. Ich bin nicht gut mit Marketing-Konzepten, aber ich meine, alles, was ich schreibe, ist für Menschen (Männer wie Frauen, jeden Alters, jeder Herkunft), die sich Gedanken über Realität, Zeit, Gott, dass Unsichtbare, das Seltsame, im Leben und im Tod machen. Die großen Fragen, meine ich. Ich möchte diese Fragen nicht beantworten, ich verfolge sie ein wenig weiter, und vielleicht finden die Leser ihre eigenen Antworten. Aus diesem Grunde versuche ich auch nicht, die Geschichten zu erklären oder zu definieren, wovon sie handeln. Ich habe in Rezensionen gesehen, dass Leser ganz unterschiedliche Dinge in den Büchern gefunden haben. Dinge, die darin sind, die ich aber nicht bewusst hineingeschrieben habe. Das ist gut. Es bedeutet, dass die Bücher ein eigenes Leben haben, ein Bewusstsein, dass ich nicht streng definiert oder kontrolliert habe. Ich glaube aber, dass ich für Leute schreibe, mit denen ich einen Nachmittag genießen würde, an einem Fluss – mit Kaffee oder Wein oder Bier oder Tee (einfach das bevorzugte Getränk einsetzen), mit gutem Essen und Diskussionen über das Leben, das Universum und alles andere – und mit denen ich über Gott und die Welt reden mehr Fragen aufwerfen kann, als sich in einem Menschenleben beantworten lassen.
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