Wir alle wissen, dass wir täglich schreiben sollten, möglichst oft zumindest. Allerdings wissen wir auch, dass es nicht immer machbar ist, täglich zu schreiben. Es gibt unvorhergesehene Termine, unerwartete Besuche, Krankheiten und andere Unwägbarkeiten, die es unmöglich machen, wirklich jeden Tag zu schreiben. Keine Lust zu haben, ist auch eine dieser Unwägbarkeiten. Sollten wir uns zwingen, auch dann zu schreiben, wenn uns einfach nicht danach ist?
Keine Lust zu schreiben im Alltagsstress
Die wenigsten von uns müssen sich nur um ihr Schreiben kümmern, alle anderen haben einen Brotjob, eine Familie, Freunde, Hobbys, Haustiere, einen Garten, eine Krankheit oder eine Lebenssituation. Manchmal erscheint es wie ein Wunder, dass es einige Menschen doch hin und wieder schaffen zu schreiben. Aber in den meisten Fällen ist es möglich, von den Anforderungen und Ansprüchen anderer Zeit für das eigene Schreiben abzugrenzen. Planung hilft, Egoismus auch, und ein dickes Fell ist sowieso notwendig, um das Schreiben vor anderen Menschen zu rechtfertigen.
Wenn es wirklich nur an der Planung läge, könnten wir tatsächlich an den meisten Tagen Zeit zum Schreiben finden. Leider liegt es nicht nur daran.
Überzogene Anforderungen
Ein Grund, der Schreiben effektiv verhindern kann, entsteht aus einem Missverständnis über Schreiben und Veröffentlichen. Am Anfang ihrer Schreibkarriere sind alle Autor*innen Leser*innen. Sie lesen die veröffentlichten Texte und spüren den Wunsch, auch solche Texte zu schreiben. Was in dieser Phase fehlt, ist das Wissen um den Entstehungsprozess der veröffentlichten Texte. Die vielen Versionen vor der Veröffentlichung bekommen Leser*innen nie zu Gesicht. Sie ahnen nichts von den Stunden der Überarbeitung, des Verwerfens und der neuen Versuche. Für sie existieren nur (nahezu) perfekte Texte. Die eigenen Schreibversuche können nicht an diese Texte heranreichen.
Diese Diskrepanz zwischen dem Wunschprodukt und der eigenen Leistung frustriert. Die Frustration wiederum kann dazu führen, dass die Lust, trotzdem zu schreiben, verloren geht. Auf diese Weise kann die Erfahrung im Umgang mit ersten Versionen, mit Techniken des Überarbeitens und Verbesserns nicht entstehen.
Gegen diese Frustration anzuschreiben, bringt Leser*innen auf dem Weg zu Autor*innen weiter. Sie lernen, eine erste Version zu Ende zu schreiben und sie erfahren, dass diese erste Version nicht das Endprodukt ist, sondern der zaghafte erste Schritt von unabsehbar vielen. Der Weg zum veröffentlichungsreifen Buch kann Jahre dauern.
Andere Phasen des Schreibens (ohne zu schreiben)
Was nicht schreibenden Menschen kaum zu vermitteln ist, sind die Arbeitsphasen, die nicht aus Schreiben bestehen, aber notwendig sind, damit ein Text entstehen kann. Vielleicht gibt es eine Idee, vielleicht sogar schon ein erstes Gerüst für ein Buch. Zum Unterfüttern dieser Idee gehört Recherche, die Suche nach Informationen, aber möglicherweise auch die Suche nach Stilen oder Strategien der Umsetzung. Keine Lust zu Schreiben ist in dieser Phase ein Hinweis, dass der Reifungsprozess von Idee und Wissen noch nicht abgeschlossen ist, dass Lesen und Kombinieren wichtiger sind.