Charaktere machen die Arbeit in einem Roman. Von einigen erwarten wir, dass sie ständig kämpfen, leiden und lieben. Das sind unsere Protagonist*innen. Die anderen erscheinen hin und wieder. Sie dürfen den wichtigeren Charakteren keine Konkurrenz werden. Aus diesem Grunde müssen wir sie disziplinieren.
Was weiß ich über meine Nebenfiguren?
Nebenfiguren unterstützen die Protagonist*innen, oder sie behindern sie auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Wünsche. Einige Nebenfiguren haben wichtige Funktionen, andere sind kaum mehr als wandernde Dekorationen. Damit es keine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Leser*innen gibt, ist es wichtig, dass wir genau wissen, wer unsere Protagonist*innen sind und welche Bedeutung die einzelnen Nebenfiguren haben.
Das Wissen über die Nebenfiguren hat nur selten Bedeutung für den Text. Es ist aber wichtig für uns, wenn wir uns auf die Szenen einlassen und spüren wollen, welcher Charakter wie handelt und warum. Wenn wir eine Szene schreiben, schlüpfen wir abwechselnd in die einzelnen Teilnehmer der Szene. Damit jeder Charakter authentisch klingt und handelt, müssen wir uns die Mühe machen, auch Nebenfiguren mit einer Vorgeschichte auszustatten. Diese Vorgeschichte braucht nicht detailliert zu sein, aber sie sollte uns ein Gefühl für die Nebenfiguren vermitteln.
Lassen wir zu viele Informationen aus der Vorgeschichte der Nebenfiguren in den Text einfließen, verlieren wir während des Schreibens den Überblick. Leser*innen wird es schwerfallen, sich im Text zu orientieren.
Keine Konkurrenz zulassen
Handlungen auf einsamen Inseln, in durch Unwetter von der Außenwelt abgeschnittenen Landhäusern oder in kleinen, streng geregelten Gemeinschaften sind auch deshalb so beliebt, weil das Figurentableau auf natürliche Weise begrenzt wird. Neben den Protagonist*innen, die ihre Zeit mit der Jagd nach ihrem Ziel verbringen, treten einige wenige Nebenfiguren auf, die sie aktiv unterstützen oder behindern, und einige, die ihnen lediglich das Essen hinstellen, im entscheidenden Moment einen Karren mit Obst aus einer Nebenstraße ziehen und so den Weg versperren oder von der für die Protagonist*innen vorgesehen Kugel getroffen werden.
Wer nur die Bestellung aufnimmt, die Tüte mit den Beweisen reicht oder auf der Treppe rempelt, füllt lediglich eine Funktion aus und sollte auf diese Funktion beschränkt werden. Solche Charaktere brauchen in den seltensten Fällen zu sprechen, noch seltener müssen sich mit den Protagonist*innen interagieren. Auch ein Name ist oft schon zu viel Information. Zu leicht könnten sie zur Konkurrenz für Nebenfiguren mit einer Bedeutung für die Handlung werden.
Nebenfiguren, die aktiv die Aktionen der Protagonist*innen begleiten oder stören, müssen ebenfalls mit Strenge behandelt werden. Sie haben eine Vorgeschichte, zumindest in unserem Hinterkopf, sie haben oft einen Namen und manchmal sogar einen eigenen Handlungsstrang. Erlauben wir ihnen zu viel Spielraum, nehmen sie sich diesen Raum, drängen in den Hauptstrang und konkurrieren mit den Protagonist*innen um die Aufmerksamkeit der Leser*innen.
Vor der Überarbeitung sollten wir uns deshalb noch einmal in Erinnerung rufen, wer unsere Protagonist*innen sind und was die Leser*innen über die aktiveren Nebenfiguren wissen müssen, um ihr Handeln zu verstehen. Mit diesem Wissen fällt es uns leichter, Nebenfiguren mit spitzem Rotstift zu disziplinieren.