Zu den ersten Dingen, die wir lernen, gehört warten. Es ist eine der Fähigkeiten, die es uns erst ermöglichen, mit anderen Menschen zusammenzuleben, eine Übersicht über unsere Umwelt zu gewinnen und angemessene Entscheidungen zu fällen. Warten in der Kinderwelt ist oft auch ein Warten auf Erlaubnis. Ob es um Fernsehen, barfuß im Garten spielen oder das Dreirad der Schwester benutzen geht, wir müssen auf die Genehmigung warten. Später müssen wir bis zum Unterrichtsende warten, ehe wir das Schulgelände verlassen dürfen, oder bis sechzehn Uhr dreißig, ehe mit dem Feierabend das eigentliche Leben beginnt. In all diesen Fällen existiert immer eine klar definierte Person, auf deren Entscheidung zu warten ist.
Wer entscheidet, ob und wann Sie schreiben dürfen?
Gründe gegen das Schreiben
Oft lese ich von Menschen, die schreiben möchten, die meinen, eine Geschichte mit sich herumzutragen. Aber sie schreiben nicht. Sie sagen, sie wüssten nicht weshalb. Eigentlich existiere kein Grund. Nur irgendwie fühlten sie sich nicht berechtigt, jetzt sofort mit dem Schreiben zu beginnen. Später vielleicht.
Auf Nachfrage, oder wenn ich die Unterhaltung weiterverfolge, erfahre ich, dass es tatsächlich Gründe für dieses Hinauszögern gibt.
- „Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Habt ihr eine Idee?“
- „Meine Noten in Deutsch waren schon immer schlecht.“
- „Alle würden über mich lachen.“
- „Meine Freunde denken dann, ich halte mich für etwas Besonderes.“
- „Ich muss viel arbeiten.“
- „Ich bin schon in einer Fußballmannschaft.“
Selbst wenn Sie oder ich einige dieser Gründe nicht gelten lassen würden, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass die Gründe für denjenigen, der sie benutzt, um sein Nicht-Schreiben zu erklären, von Bedeutung sind.
Wie ein Grund schwerwiegend wird
Ich behaupte, hinter jedem dieser Gründe steckt Angst.
Wenn Sie einen Ihrer eigenen Gründe in der kleinen Liste entdeckt haben, werden Sie wahrscheinlich heftig widersprechen und von diesem Post wegklicken. Aber nehmen wir an, es sind nicht Ihre Gründe. Dann können Sie mit mir darüber nachdenken, was hinter jedem dieser Gründe steht und weshalb der Grund so schwerwiegend geworden ist.
1. „Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Habt ihr eine Idee?“
Das ist eine Erkenntnis. Mir fehlt Erfahrung, mir fehlt das Rüstzeug, ich brauche Informationen. Nachvollziehbar ist auch, dass jemand vor einer neuen Aufgabe zögert und überlegt. Aber was überlegt er? Und worin soll die Hilfe bestehen? Nach meiner Erfahrung suchen Menschen Rezepte, begangene Wege, von anderen für gut befundene Wege. Wer einen Ratschlag als Ausgangspunkt für eigene Kreativität nimmt, bleibt offen für eigene Entwicklungen. Wer buchstabengetreu vorgeht und sich unbeirrt an das hält, was der Ratgeber vorgibt, macht sich abhängig.
„Die anderen wissen es besser. Ich warte auf die Hilfe einer Autorität.“
Während dieses Wartens leidet der Wunsch, selbst zu handeln, selbst zu schreiben. Er wächst vielleicht an, wird größer, findet keinen Halt und zerfällt in Enttäuschung und Unzufriedenheit. Warten auf Anleitung und Unterstützung schadet nur. Fordern Sie aktiv Hilfe ein. Fragen Sie konkret, was Sie wissen möchten. Suchen Sie im Internet, in der Bibliothek, in der Buchhandlung nach Anleitungen zum Schreiben. Oder holen Sie tief Luft und fangen Sie einfach an.
2. „Meine Noten in Deutsch waren schon immer schlecht.“
Wir könnten lange über den Nutzen von Benotungs- und Bewertungssystemen diskutieren. Es kursieren so viele Geschichten von herausragenden Künstlern und Forschern, die mittelmäßige bis katastrophale Schulkarrieren hinter sich hatten, einige von denen werden der Wahrheit entsprechen. Machen Sie sich bewusst, dass Ihre Lehrer Sie im Unterricht bewerteten. Was Sie außerhalb der Schule schaffen, ist Ihre Angelegenheit. Wenn Sie schreiben möchten, schreiben Sie. Ihre Sprachbeherrschung wird sich auf jeden Fall verbessern, und Sie werden glücklicher sein.
3. „Alle würden über mich lachen“ und 4. „Meine Freunde denken dann, ich halte mich für etwas Besonderes.“
Wir brauchen Menschen, die uns verstehen, die uns auffangen und beschützen. Freunde sollen uns außerdem in unserer Einzigartigkeit akzeptieren, so wie wir das selbstverständlich (nicht wahr?) bei ihnen auch tun. Tatsächlich wirken sich Menschen, Angehörige wie Freunde auf die Kreativität aus, meistens ohne böse Absicht. Freunde und Angehörige haben ein bestimmtes Bild von Ihnen. Wenn Sie vorher nie geschrieben, gemalt oder musiziert haben, gehören diese Aktivitäten nicht zu dem, was man von Ihnen kennt und was man von Ihnen erwartet.
Manche Menschen reagieren mit Lachen, wenn sie überrascht sind, vielleicht aus Verlegenheit. Manche Menschen verwenden Lachen als Waffe. Sie machen lächerlich, was sie nicht verstehen oder nicht akzeptieren können. Oft sind es ansonsten sehr nette Leute, die Ihnen sagen: „Du bist ja dumm, wenn du deine Zeit mit Schreiben verplemperst. Warum musst du denn ausgerechnet so was machen?“
Es ist schwierig, mit so einer Frage umzugehen. Eine Antwort wie „Weil ich den Wunsch dazu verspüre“ findet niemals Verständnis. Das Beste ist einfach, Sie legen sich eine zweite Identität zu. Als schreibende Person leben Sie im Untergrund, Ihrem Schlafzimmer vielleicht, und geben sich als Autor erst zu erkennen, wenn Sie eine gewisse Sicherheit oder einen gewissen Erfolg vorzuweisen haben. Seien Sie verschwiegen. Hüten Sie Ihre Schreibversuche vor misstrauischen Augen, bis Sie etwas abgeschlossen haben.
Überlegen Sie auch, ob Sie neue Freunde mit eigenen Schreiberfahrungen benötigen, um sich in angenehmer Atmosphäre austauschen zu können.
5. „Ich muss viel arbeiten.“ und 6. „Ich bin schon in einer Fußballmannschaft.“
Das Leben hat viele Aufgaben für uns gefunden und bindet uns mit Verpflichtungen aller Art. Niemand bestreitet, dass Sie Geld zum Leben benötigen. Sie müssen arbeiten, zur Schule oder zur Uni gehen. Aber nirgendwo ist festgeschrieben, wie Sie Ihre Freizeit zu verbringen haben. Knapsen Sie sich Zeit zum Schreiben von den Rändern des Tages. Stehen Sie eine halbe Stunde früher auf oder gehen Sie dreißig Minuten später zu Bett. Schreiben Sie in dieser Zeit. Anders als Ihre Familie und Ihre Arbeit ist Ihre Mitgliedschaft in einer Mannschaft oder einem Verein eine freiwillige Entscheidung. Oder wurden Sie gezwungen? Entscheiden Sie, wie viel Zeit Sie für Ihr Hobby investieren wollen. Umgehen Sie dumme Bemerkungen über Ihr Schreiben, indem Sie es nicht erwähnen.
Warten Sie nicht auf die Erlaubnis zu schreiben. Die gibt Ihnen niemand.
Das ist die traurige Wahrheit. Wenn Sie etwas Neues ausprobieren wollen, werden viele Menschen Sie zurückzuhalten versuchen. Warten Sie nicht auf Zustimmung zu Ihren Plänen, wenn Sie sicher sein können, dass Sie sie nicht erhalten werden. Als Autor schaden Sie niemandem, aber Sie schaden sich selbst, wenn Sie den Drang zu schreiben unterdrücken. Schweigen Sie und schreiben Sie.