In Foren für angehende Autoren lese ich oft die Frage nach dem ersten Satz. Der erste Satz eines Textes ist wichtig. Für mich besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen dem ersten Satz, mit dem ich beginne, meinen Text zu schreiben, und dem ersten Satz des fertigen Buches. Diesen Unterschied sollten Sie nicht aus den Augen verlieren. Ansonsten kann es sein, dass Sie keinen ersten Satz finden und nie anfangen zu schreiben.
Der erste Satz als Einstieg ins Schreiben
Für mich ist der erste Satz beim Schreiben eines Textes wie eine Tür. Oft führt eine unscheinbare Tür in eine großartige Kathedrale, ein protziges Tor in einen bescheidenen Bungalow. An diesem Beispiel erkennen Sie die einzige Funktion des ersten Satzes:
Der erste Satz muss alle die nachfolgenden Sätze aus dem Unterbewusstsein befreien und auf das Papier, bzw. in die Datei bringen.
Damit der erste Satz das kann, sollten Sie ihn spontan aufschreiben. Dabei ist es gleichgültig, ob der Satz passt. Weder von der Stimmung noch vom Register muss der Satz den nachfolgenden Sätzen entsprechen. Der Anfang Ihres Textes ist vermutlich die Stelle, die Sie im Laufe Ihrer Arbeit am häufigsten überarbeiten. Bei diesen Arbeitsschritten müssen Sie darauf achten, dass der erste Satz in die Handlung einführt. Doch ehe Ihr Manuskript weit fortgeschritten ist, ist es zu früh, den Anfang grundlegend zu verändern.
Der erste Satz als Köder für den Leser
Wenn Leser ein Buch aufschlagen oder eine Leseprobe öffnen, lesen sie den ersten Satz und überfliegen die erste Seite. Der erste Satz des fertigen Buches hat auch eine Funktion wie eine Tür. Der erste Satz zieht den Leser in die Geschichte. Vergessen Sie jedoch nicht, dass die folgenden Sätze zu dem ersten Satz passen müssen. Der Sog geht andernfalls verloren. Gewiefte Leser wissen, dass Sie die erste Seite besonders sorgfältig bearbeitet haben. Deshalb testen sie auch Textstellen im Inneren des Buches und außerdem am Ende.
Der erste Satz des fertigen Buches soll neugierig machen. Er kann provozieren oder schmeicheln, amüsieren oder erschrecken, doch immer müssen die nachfolgenden Sätze vom Tonfall, von der Melodie, von der Stimmung, von Sprache und Grammatik her zum ersten Satz passen und den Leser weiter in die Handlung leiten.
Lassen Sie sich beim Überarbeiten Ihres Manuskripts nicht verleiten, Ihre gesamte Energie in den Anfang des Buches zu geben. Ihr Buch ist eine Einheit, gleichgültig wie differenziert Sie es inhaltlich gestalten. Das Niveau am Buchanfang müssen Sie durchhalten.
Legen Sie anhand des ersten Entwurfs eine Liste aller Szenen an und notieren Sie kurz, was in jeder Szene tatsächlich passiert. Lesen Sie dann Ihren ersten Entwurf und markieren Sie die Stellen, die Ihnen während des Lesens überarbeitungsbedürftig erscheinen. Vergleichen Sie anschließend die Liste der Szenen mit den Stellen, die Sie überarbeiten wollen. Lassen Sie den Anfang aus dem ersten Überarbeiten heraus.
Erst wenn Sie den Hauptteil des Manuskripts bearbeitet haben, verfügen Sie über ausreichend Übersicht über den Text, um grundsätzliche Änderungen am Anfang durchzuführen.