Zu den Menschen, die uns am meisten geprägt haben, gehören die Menschen in unseren Familien. Nicht immer wollen wir dies wahrhaben. Oft genug fühlen wir den Einfluss Außenstehender viel stärker, können sogar Situationen benennen, in denen der Einfluss begann und worin er bestand.
Familien sind Beziehungsgeflechte, die zu durchschauen schwerfällt. Einflüsse können über Generationen wirken, Geheimnisse betreffen Menschen, die viele Jahre später leben. Die Verstrickungen faszinieren Leser – nicht ohne Grund erfreuen sich Familiengeschichten großer Beliebtheit, und nicht ohne Grund sind es oft Familiendramen, über die wir lesen möchten.
Auch Autoren können sich ihren Familien nicht entziehen. Sei es, dass es Flucht- oder Gewalterfahrungen gab, sei es, dass ein Familienmitglied eines Verbrechens bezichtigt und, oder auch nicht, zur Rechenschaft gezogen wurde. Für manche ist die Familie eine Belastung, für andere eine Quelle an Inspiration, Weisheit und Erfahrung. Wenn Sie Ihre Familiengeschichte als Belastung empfinden, brauchen Sie vielleicht fachlichen Rat, wo dieses Belastungsempfinden herrührt. Ansonsten ist Ihre Familie eine Quelle, die Sie anzapfen sollten, auch um über Sie selbst zu lernen.
Autoren nähern sich ihrer Familiengeschichte auf unterschiedliche Weise an. Ich möchte grob zwei Formen der Annäherung unterscheiden. Keine ist der anderen überlegen. Es sind einfach unterschiedliche Herangehensweisen, die auch Unterschiedliches zutage fördern können.
Verwandtschaftslinien und Verstrickungen aufdecken
Eine an der Oberfläche sachlich erscheinende Herangehensweise ist die der Genealogie. Das mit diesem Wort verbundene Klischee zeigt uns alters- und geschlechtslos scheinende Wesen, die in staubigen Bibliotheken längst vergessene Folianten durchblättern. Doch das ist eben nur das Klischee. Es gibt Netzwerke wie MyHeritage, in denen Menschen mit professionellen Mitteln und mit Leidenschaft, ihre Familiengeschichte erforschen, dokumentieren und veröffentlichen. Dazu greifen Sie auf die übliche Quellen in Archiven zurück, nutzen jedoch, dass Archive heutzutage oft vernetzt sind. MyHeritage erlaubt auch Vergleiche unter im Netzwerk veröffentlichten Stammbäumen. Auf diese Weise können längst getrennte und verloren geglaubte Familienzweige wieder zueinander finden. Oder man findet neue Freunde, wenn sich erweist, dass doch keine Verwandtschaft besteht.
Stammbäume sind lediglich Abbildungen und Zusammenfassungen von Familiengeschichten. Wer die Gründe für eine Auswanderung einer Tante vor zweihundert Jahren oder das Verschwinden eines Kindes ohne jede weitere Urkunde erforschen möchte, begibt sich auf Spuren, die auch Autoren beschreiten. Oft genug entstanden aus der Suche nach Antworten Romane.
Alte Geschichten neu erzählen
In jeder Familie gibt es Geschichten. Manche werden oft erzählt, andere selten. An manche Geschichten darf niemand rühren, weil sonst Unangenehmes passiert. Autoren sammeln Geschichten. Sie lauschen, was in Worten berichtet wird und beobachten, wie sich die Augen der Zuhörer verändern und wer anschließend über den Erzähler herfällt, in Worten und Taten. Dieses Aufsammeln kann früh beginnen., ebenso das Heraushören der Leerstellen, das Interpretieren von Aussagen wie „Und jeder weiß, was das für eine war“ oder „Aber ob die erste Frau auch in der Grabstätte liegt, weiß man nicht“. Ein wichtiger Schritt ist das Festhalten des Gehörten, entweder in der traditionellen Variante der Familie oder in einer eigenen Interpretation durch den Autor.