Hier ist noch ein wahrhaft königlicher Nachschlag der Sommergastbeiträge: Die Autorin Louise Bourbon berichtet über ihre Liebe zur französischen Geschichte und Kultur und ihren Roman über die von der Geschichtsschreibung schändlich behandelten Louise de la Vallière.
Mein Name ist Louise Bourbon, und ich habe französische Wurzeln. Dies und die Tatsache, dass ich von frühester Kindheit an gern gelesen und geschrieben habe, haben mein Leben geprägt. Von frühester Kindheit an habe ich viel Zeit mit meiner Großmutter verbracht, die neben vielen anderen Dingen die Liebe zur französischen Sprache, Geschichte und zu Büchern vermittelte. Zum Glück war sie Bibliothekarin, und damals war es noch rlaubt, dass sie die Bücher, die die Bibliothek aussortiert hatte, mit nach Hause nehmen durfte. Ich betrat eine Welt der Schätze – und einen meiner liebsten Schätze besitze ich immer noch, nämlich Bände aus der Reihe „Wissen“ – allerhand Themen waren dort vertreten, Biologie, Geographie, Naturwissenschaften, und eben auch Geschichte. Wunderbar für Kinder aufbereitet und wunderschön bebildert. Diese Reihe und historische Chroniken begleiteten mich, als ich noch nicht einmal lesen beziehungsweise nur einzelne kleine Worte buchstabieren konnte. Doch ich ahnte schon, dass die Fähigkeit des Lesens ein Schlüssel sein würde, der mir neue Welten erschließen könnte. Zum Unglück meiner Grundschullehrerin beherrsche ich beim Eintritt in die Schule nicht nur das Alphabet, sondern konnte auch die ersten Worte lesen und schreiben. Leider hatte man zu dieser Zeit noch nicht wirklich Verständnis dafür, und die Dame hat erheblich versucht, meinen Eifer zu bremsen, während meine Großmutter erheblich versuchte, ihn auf keinen Fall zu bremsen. Zum Glück gewann meine Großmutter die Auseinandersetzung.
Insbesondere die historischen Atlanten waren mein Freund.
Meine erste „Begegnung“ mit Louis le Grand hatte ich, als ich im jugendlichen Alter von ungefähr fünf oder sechs Jahren an einem verregneten Sonntag in der Bibliothek meiner Großmutter in einem „Bildband zur europäischen Geschichte“ blätterte und auf das bekannte Bild von Hyacinthe Rigaud aus den Jahren 1701/02 stieß. Und da saß ich und starrte. Ich bin noch ohne Internet und Multimedia groß geworden, und so war dieses Bild lange Zeit das einzige mir bekannte Bild des Königs. Als ich dann im Alter von zwölf oder 13 Jahren soweit war, auch über den König lesen zu wollen, zuvor haben mich die Erzählungen meiner Großmutter über ihn begleitet, stand ich vor dem Problem, dass es in Deutschland erschreckend wenig Material gab. Wenn doch, das musste ich einige Jahre später feststellen, wurden die französischen Quellen unzureichend zitiert und zum Teil sogar falsch übersetzt.
Wieder war es meine Großmutter, die mir ein Buch in die Hand drückte und einfach sagte: lies. Vincent Cronin, Der Sonnenkönig. Ich verschlang das Buch fasziniert, und obwohl Cronin in vielen Teilen der offiziellen Geschichtsschreibung folgt, meldet er an anderen Stellen doch Zweifel an. So habe ich bei ihm den ersten Hinweis gefunden, dass das vorgebliche Monogramm des Königs, die beiden in einander verschlungenen L, ihm und Louise de La Vallière galt. Damit wären wir bei meiner Protagonistin. Warum sie?
Nun, diese und eine weitere Biografie über den großen König prägten meinen Weg. Denn in beiden wurde er ausgesprochen positiv bewertet, ein großartiger Staatsmann, ein liebenswürdiger Mensch mit Witz und Humor – und, das wird auch geschrieben, mit großer Treue gegenüber denjenigen, denen er gewogen war und die ihm Loyalität bewiesen. Die vorgeblichen Frauengeschichten passen nicht sonderlich gut dazu.
Dann kam ich in die neunte Klasse, und im Geschichtsunterricht wurde genau dieses Thema behandelt. Ich war schockiert. Quellen, aus dem Zusammenhang gerissen, bemühten sich lediglich, den König als so genannten absoluten Herrscher darzustellen, inklusive des Kiel zitierten Leitsatzes L’État c’est moi, häufig auch noch falsch geschrieben: état. Nun, L’État ist der Staat, l’état bedeutet schlicht: Zustand. Mit dieser Schreibweise ist man auch noch sinnentstellend. Abgesehen davon, dass der König diesen Satz nie gesagt hat und auch den Begriff Absolutismus nicht kannte, diente der Geschichtsunterricht lediglich einer Sache: anhand der Regierung des Königs herzuleiten, dass die französische Revolution eine gute Sache war. Das wollte mir so nicht gefallen. Das nächste Buch kam ins Haus, „1789“ von André Lefebvre, während eines Frankreich-Aufenthaltes erworben. Und er zeichnet ein ganz anderes Bild zur französischen Revolution, und gesteht dem König ebenfalls seine Qualitäten zu. Und da beschloss ich: ich will nicht nur über den König lesen, ich will auch über ihn schreiben. Mein leichtsinniges Ziel mit 16 oder 17 Jahren: sein Bild hier in Deutschland gerade rücken. Doch bevor man schreibt, muss man noch mehr lesen. Das habe ich auch gemerkt. Mein Taschengeld ging fortan tatsächlich nur noch für Bücher und Literatur aus der Börse. Trotz Schule und dieser zeitaufwändigen Leidenschaft suchte ich mir eine Arbeit, um mehr Geld zu Verfügung zu haben, um dieses wiederum in Bücher oder Bilder investieren zu können. Später kamen auch noch CDs dazu, zur damaligen Zeit unermesslich teuer, natürlich mit meiner geliebten Barockmusik.
Bei meinen Recherchen kann mir natürlich wieder vermehrt besagtes Bild unter die Augen. Auffällig ist, dass Rigaud dem Alter Rechnung getragen hat, indem er auf den erstaunlich jugendlich anmutenden Körper ein altes Gesicht gesetzt hat. Die eingefallenen Wangen, Folge der Zahnentfernungen und des zertrümmerten Gaumens, Beweis des Könnens der königlichen Leibärzte, die leichten Pockennarben, die müden Augen, der resignierte, fast Trauer ausstrahlende Blick passen nicht zur Vorstellung von einem Herrscherbildnis. Eine Merkwürdigkeit gesellte sich hinzu, als ich eine Version dieses Bildes in Herrenchiemsee sah.
Das war das, was ich tat, als ich endlich den Führerschein hatte. Andere fuhren über das Wochenende in die Disco, ich fuhr nach Frankreich.
Dort stieß ich dann endlich, zum Teil in Antiquariaten, auf französische Quellen. Mir ging das Herz auf. Natürlich bemerkte ich, dass die französischen Quellen von ganz anderen Dingen ausgingen als die deutschen, aber auch hier gab es Diskrepanzen: während Louis XIV im 17. und auch im 18. Jahrhundert durchaus positiv bewertet wurde, änderte sich dies in den Quellen des 19., 20. und zum Teil auch des 21. Jahrhunderts. Die häufigen Widersprüche, die ich fand, weckten erst recht meine Neugier.
Geschichtsschreibung macht es sich manchmal sehr einfach. Selbst in den heutigen Schulbüchern folgt noch einer Logik, die ich massiv in Zweifel ziehe.
Man darf nicht vergessen, dass Geschichtsschreibung auch immer politisches Mittel ist und zugunsten dieses politischen Mittels auch Geschichtsfälschungen betrieben wurden und werden. Gerade im Hinblick auf die unrühmliche deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts findet man unschöne Beispiele im Leugnen des Holocausts. Solchen Geschichtsverfälschungen liegen meist ideologische oder nationalistische Motive zugrunde. So erklärt sich vielleicht auch, warum in Frankreich von Louis le Grand gesprochen wird, während man dem König in Deutschland diese Ehre konsequent entzieht und es beim schlichten Louis XIV belässt.
Diese Form der Klitterung ist mir während meiner Schulzeit und auch während meines Studiums der Geschichte im Hinblick auf den Sonnenkönig häufig begegnet. Es passt ja auch alles so schön zusammen: ein französischer König, der dezent zum Größenwahn neigt, führt eben ein bisschen zu viel Krieg und baut ein bisschen zu viel an schicken Schlössern herum. Prompt gibt’s 74 Jahre (sic) nach seinem Tod die Quittung: Das „Volk“ erhebt sich und zeigt dem bösen absolutistischen Herrscher, dass jetzt Schluss ist mit der Tyrannei – die französische Revolution ist die Geburtsstunde der Demokratie.
Sottises, wie der Franzose sagt, Blödsinn. Wenn man wie ich 20 Jahre recherchiert, und sich an solchen Behauptungen stößt, dann geht man auf solchen Dingen auf den Grund. So habe ich beispielsweise die vorgeblich ruinöse Staatsverschuldung nach geprüft, und muss sagen, dass der König einer der wenigen, der einen halbwegs ausgeglichen Haushalt hatte. Diverse modernen Staaten befinden sich im Augenblick schlimmer in der Schuldenkrise als Frankreich im Jahre 1715. Welche Quellen zieht man hier in Deutschland immer heran? Madame de Sévigné, die heutzutage wahrscheinlich Klatschreporterin bei der Bunten gewesen wäre. Nichts ist schlimmer, Menschen zuzuhören, die vorgeben, alles zu wissen, aber doch nur das wiedergeben, was man ihnen vorspielt. Louis de Rouvroy, Duc de Saint-Simon, Jahrgang 1675, also geboren, als Louis XIV 36 Jahre alt war, hat selbst erst die letzten Jahre des Königs tatsächlich erlebt. Seine berühmten Memoiren sind einer latenten Opposition gegen den König geprägt – zum einen, weil er eine erhoffte Beförderung im Offiziersdienst nicht erhielt, zum zweiten, weil Saint-Simon an etwas litt, das Louis XIV relativ fremd war: an Standesdünkel. Dieser führte so weit, dass er mehrfach beim König wegen „Zurücksetzung im Hofzeremoniell“ vorstellig wurde. So wurde er, ebenso wie Voltaire einige Jahre später, zum willigen Komplizen des Königs Louis XV, dem aus vielen Gründen daran gelegen war, die Königin Louise verschwinden zu lassen.
Königin Louise. Damit sind wir bei meiner Protagonistin. Als ich über sie zu lesen begann, häuften sich die Fragen. Die Zeitgenossen berichten, dass der König und sie einander jeden Tag geschrieben haben. Manchmal sogar mehrfach, selbst, wenn sie unter dem gleichen Dach waren. Manchmal ganze Briefe, manchmal nur kleine Nachrichten. Manchmal offiziell zugestellt, manchmal verstohlen in die Hand gedrückt oder in eine Obstschale versteckt. Von diesem gesamten Briefwechsel ist nichts mehr erhalten. Das war eines der Dinge, die ich nicht glauben konnte. Louise de La Vallière hat angeblich nichts hinterlassen, außer den „Reflexionen über die Barmherzigkeit Gottes“ – und einige ausgewählte Briefe nach 1674. Und schon wieder wurde ich stutzig. Die öffentliche Darlegung ist ja folgende: Der König wurde ihr nach einiger Zeit überdrüssig, schenkte ihr noch einen Herzog-Titel und wandte sich dann der Rivalin zu.
Interessant, die französische Quellenlage bewertet den Herzogentitel so: „Der König behandelt sie wie seine Frau, ihr Stern steigt höher und höher.“ Man bemerkt, da passt etwas nicht. Ein weiteres Dokument berichtet von einer schweren Krankheit im Jahre 1671, ausgelöst durch eine Fehlgeburt. Augenblick, Fehlgeburt? Das setzt eine Schwangerschaft voraus, und wir alle wissen, wie eine solche zustande kommt. Schwangerschaft, obwohl der König kein Interesse an ihr hatte? Mir fiel eine weitere Merkwürdigkeit auf: 1671 ist das Jahr, in dem die vorgebliche Rivalin kein Kind vorweisen konnte. Nach dem Eintritt von Louise ins Kloster bleiben über Karl plötzlich die Kinder aus. Weitere Dokumente berichten von einer rasenden Eifersucht der Rivalin, die sich mir persönlich auch nicht erklärt hat. Eifersucht, wenn man doch das hat, was man möchte?
Vorgeblich sollte Louise am Hofe bleiben, um diesen doppelten Ehebruch zu kaschieren. Unsinn, sage ich, sie blieb am Hof, weil alles andere ein Schauspiel war. Und das erklärt auch die Eifersucht der Rivalin, denn die Dame wusste ganz genau, wohin der König verschwand, wenn das Theater-Spiel zu Ende war.
Selbst in Versailles wird Louise fast schon mutwillig in den Hintergrund gedrängt, Bilder, von denen mir Experten sagten, dass sie Louise zeigen, werden mit dem Namen ihrer Rivalin ausgestellt. Kurioserweise ist sie in Herrenchiemsee wiederum fast die Hauptperson. Dann war da ein Fund, der mich endgültig in die Richtung denken ließ, dass sich die Geschichte anders zugetragen hat als berichtet: in einem Stadtarchiv fand ich einen Eintrag, der um 1685 datiert war:
Le Roy prit la décision […] parce que la Dame de La Vallière le voulut. Der König traf die Entscheidung, […], weil die Dame de La Vallière es so wollte.
Was mich antreibt? Die Suche nach Wahrheit und Echtheit. Und das Empfinden für Gerechtigkeit. Louise de la Vallière ist Frankreichs vergessene Königin, die von ihren Gegnern aus der Geschichte gelöscht und diffamiert wurde. Die Ergebnisse der Recherchen und mein Gespür führten mir dabei sowohl die Täter, wie auch die Opfer eindeutig vor Augen. Am Ende der Arbeit zu meinem Buch «Die Sonnenkönigin – Frankreichs vergessene Königin» war klar, dass die offizielle Geschichtsschreibung mehr als versagt hat. Interessanterweise sind die heutigen Historiker scheinbar auch nicht an einer Klärung interessiert. Zumindest nicht, was die Geschichtsbücher betrifft. Dafür hege ich in dieser modernen Zeit keinerlei Verständnis, und mein Bedürfnis, dies öffentlich zu machen, wurde immer größer.
Aus diesem Grund forsche ich nun schon seit über zwanzig Jahren in der französischen Geschichte. Dabei kommt immer mehr zutage, dass diese Geheimnisse auch auf Herrscher anderer Länder übergreifen. Ich habe übrigens alle im Buch genannten Orte besucht, teilweise dort die Kapitel geschrieben. Und dass ich jetzt, nach dieser langen Zeit, mein eigenes gedrucktes Werk in Händen halten darf, macht mich unglaublich stolz und glücklich. Dass in nächster Zeit mein Buch als Verlagsbuch herausgegeben werden wird, steigert mein Glück noch. Mittlerweile habe ich so viel Material, dass es noch einige Fortsetzungsbände geben wird.
Während des Schreibens habe ich einige wundervolle Dinge gelernt: ich spiele Cembalo und mache barocken Tanz. Meine Arbeit ist also Passion und Leidenschaft zugleich.
Dazu habe ich das außerordentliche Glück, einen Mann an meiner Seite zu haben, der meine Interessen und Leidenschaften teilt. Mein Mann ist meine Lebensquelle, die mich stützt und schöpferisch wirken lässt. Ich möchte mein Leben lang schreiben und Geheimnisse aufdecken, natürlich mit meinem Mann an meiner Seite. Deshalb sei mir zum Schluss die Bemerkung erlaubt, dass der Lebenslauf eines Autors aus Buchstaben besteht, die den Weg, wie Lichter in der Dunkelheit, weisen. Auf diesen Pfad möchte ich auch meine Leser mitnehmen, um ihnen ein Erlebnis zu schenken, wie es nur Bücher können.