Warum ich schreibe?
Die naheliegenste Antwort wäre, um meinen Geist mit 81 Jahren beweglich zu halten. Doch dazu gäbe es auch andere Techniken. Ich will tiefer in mein Leben zurückblicken, um eine Antwort zu finden. In jungen Jahren gewann ich einmal einen Kurzgeschichtenpreis. Er erfreute mich weniger wegen der Literatur, sondern des Wettstreits wegen. Nach dem Krieg ging es um Broterwerb, ich musste auf dem Feld arbeiten, der Besuch der öffentlichen Bücherei wurde mir verboten. Ich las Trivialliteratur, die Hefte ließen sich gut verbergen. Sobald ich eigenes Geld verdiente, war ich wieder in der Bücherei und traf auf eine Bibliothekarin, die das Gelesene mit mir diskutierte, ein wirklicher Gewinn. Dann machte ich am Abendgymnasium das Abitur und traf auf außergewöhnliche Lehrer. Ich bin mir mit meinen Klassenkameraden einig, dass diese Jahre uns wesentlich prägten. Seitdem habe ich Unmengen von Büchern gekauft und gelesen. Selbst als ich viele Jahre mit einem Schriftsteller befreundet war, habe ich zwar zahlreiche Briefe geschrieben, aber keine Literatur. Zum Schreiben bedarf es Muße. Erst nach Renteneintritt bat man mich, eine Berufschronik zu schreiben. Ich recherchierte drei Jahre und es entstand 2007 ein Werk von 300 Seiten im Großformat. Ich hatte noch nie solche Freude an einer Beschäftigung und ich beschloss, Recherchieren und Formulieren fortzusetzen.
Über meine Heimatstadt gab es keinen Mittelalter-Roman, also schrieb ich „Minne in Tremonia“. Den Titel änderte ich später in „Als Dortmund noch Tremonia hieß“. Ich verinnerlichte das Mittelalter und ließ meine Protagonisten unter den damaligen Umständen urmenschliche Bedürfnisse und Leiden durchleben.
Bücher mussten auch vermarktet werden. Einen Verlag, der das Buch kostenlos herausbrachte, fand ich schon. Doch für alles andere, vom Lektorat bis zur Werbung, sollte ich bezahlen. Ich ließ das Buch von drei Freundinnen lesen, die ihre Bemerkungen an den Rand schrieben. Sprach in Buchhandlungen vor und verteilte Werbeblätter. Der Erfolg war mäßig.
Werbung war nicht mein Ding. Geld konnte ich in meinem Alter nicht riskieren. Ich wollte aber weiter schreiben und wusste jetzt, warum. Mich trieb nicht nur Lust an der Recherche, ohne die historische Romane nicht gelingen. Mich erfasste Freude am Fabulieren und ich ließ meine Fantasie weit ausschweifen. In menschlichen Begegnungen und der Ränke der Machthaber verbarg sich soviel Stoff. Die Lust des Schreibens wuchs. Wenn erst einmal 600 Seiten zu Papier gebracht sind, ist die Angst des Scheiterns überwunden. Beim nächsten Projekt weißt du, du kannst das.
So schrieb ich einen zweiten Roman, der zum Teil in meiner Heimatstadt spielte, zum größten Teil aber im sinnenfrohen Italien der Renaissance. Der Roman bekam den Titel „Italienische Verlockung“. Die Renaissance war eine Zeit, in der ich so richtig schwelgen konnte. Ausgangspunkt war das Geheimnis um ein unvollendetes Gemälde. Im Laufe der Handlung verliebte ich mich richtig in meine Figuren. Da ich viel gereist bin, war die Kulisse für mich kein Problem.
Dann sagte ich mir, in deiner Jugend hast du viel Wildwest-Literatur gelesen und du hast die Staaten bereist. Von der Haltung her fühle ich mich eher als Preuße. Wie konnte ich diese beiden unterschiedlichen Welten zusammenbringen? Ich ließ meine Handlung in Ostpreußen mit einem Testament beginnen und schilderte die Verhältnisse im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der im Testament erwähnte Erbe war in Amerika verschollen und sollte dort gesucht werden. Es folgen recht abenteuerliche Geschehnisse quer durch den ganzen Kontinent. Am Ende des Romans bleiben vier Paare, die aus verschiedenen Gründen als glücklich zu bezeichnen sind. Den Roman nannte ich „Die gehäutete Schlange“, denn so wie das Reptil konnten meine Protagonisten nach Abwurf der alten Hüllen in ein neues Leben gleiten. Die drei Romane gibt es auch als e-books.
Beim nächsten Projekt blieb ich in Ostpreußen des Jahres 1945 und schilderte eine fünfjährige Flucht eines Gutsverwalters durch Polen, die Slowakei und Österreich in die junge BRD. Ich schuf 600 Seiten Zeitgeschichte und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte rundete das Geschehen ab. Ich habe das Buch unter das Motto gestellt: Schuld ist persönlich, wie Liebe und Hass. Liebe ist stärker. Das Buch habe ich „Heimkehr der Rose“ genannt. Nach Entwurzeln ist Verwurzeln möglich. Dieser Roman ist mein Vermächtnis. Leider habe ich bisher keinen Verlag gefunden, denn ich möchte, dass meine Botschaft in die Breite geht.
Dann habe ich zwei noch zu überarbeitende Romane geschrieben, die in der heutigen Zeit spielen.
Da ich mit einer Russin verheiratet bin, habe ich 18 Kurzgeschichten über die Begegnung zwischen Russen und Deutschen geschrieben. Es sind historische, wie über Humboldt in Sibirien, als auch aktuelle, wie die Auseinandersetzung über die Krim. Eine Freundin übersetzt mir die Geschichten ins Russische, denn ich möchte sie für beide Nationen lesbar machen.
Meine Reisen, ob bei der Besteigung von Vulkanen in Kamtschatka oder Segeln auf gechartertem Kiel in der Südsee, um nur zwei zu nennen, liefern mir immer wieder Stoff zu neuen Projekten. Augenblicklich schreibe ich Geschichten, die in Wüsten spielen. Vier sind schon fertig.
Ein Verlag, dem ich einen Roman schickte, teilte mir mit: Ihre Romangeschichte passt nicht in unser Programm, doch ihr Stil gefällt uns, schreiben sie doch etwas über ihre Heimatstadt. So schrieb ich 100 Texte „Dortmund einfach Spitze“. Das Bändchen ist bisher 340 mal verkauft. Dann bekam ich 2016 vom gleichen Verlag den Auftrag, ein Weihnachtsbuch zu schreiben. Ich schrieb 26 “Westfälischen Weihnachtsgeschichten“. Davon sind bisher über 1000 verkauft. Nebenbei habe ich für meine Enkelin ein Märchenbuch geschrieben, auf das das Mädchen besonders stolz ist.
Lesen und Reisen haben mein außerberufliches Leben geprägt und haben mir ein Fundament für meine schriftstellerische Tätigkeit geschaffen.
Einer meiner Freunde in meinem Alter ist Maler und malt noch täglich, er sagt: Malen ist wie ein das Leben verlängernder Rausch. Als Autor spüre ich auch etwas von diesem Rausch. Das ist die subjektive Betrachtung: Für mich lohnt sich das Schreiben. Doch ich wünsche mir auch Zuhörer, denen meine Worte etwas sagen. Denn manchmal zeigt das geschriebene Wort über das Abenteuer des Lesens hinaus dem Suchenden einen Weg. So hat mein Schreiben einen doppelten Sinn. Doch der Maler ist mir überlegen, denn seine Bilder berühren noch Menschen, die das Wort nicht mehr erreicht.
Wilhelm Schöttler
Wilhelm Schöttler ist 1935 in Dortmund geboren und seit 1999 mit einer russischen Ärztin, verheiratet.
Mit 16 Jahren gewann er einmal einen Preis in einem Kurzgeschichten-Wettbewerb. Dann wurde sein Leben in andere Bahnen gezwungen.
Nach dem Abitur 1964 am Abendgymnasium war er zehn Jahre allein erziehender Vater.
Als Sachverständiger und Handwerksmeister war er u. a. für die handwerkliche
Weiterbildung seiner Kollegen verantwortlich. 1998 übernahm er das Übersetzungsbüro seiner verstorbenen Frau und führte es fünf Jahre.
Er ist in allen Erdteilen gereist, hat Vulkane und Gletscher bestiegen, Hundeschlitten geführt und ist mit einem Boot an nahen und fernen Küsten gesegelt.
Als Rentner hat er wieder begonnen, Romane und Kurzgeschichten zu schreiben.
Veröffentlicht sind eine Chronik über die Schornsteinfegerinnung (2007 – 340 Seiten Großformat) sowie zwei Bändchen im Wartberg Verlag – Dortmund einfach Spitze – und – Westfälische Weihnachtsgeschichten – (2016). Außerdem drei historische Romane (Als Dortmund noch Tremonia hieß, Italienische Verlockung und die gehäutete Schlange) im Selfpublishing bei bookmundo der Mayerschen. Achtzehn Geschichten – Begegnung zwischen Russen und Deutschen (aktuelle und historische) sind zweisprachig in Arbeit.