Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Auch dieses Jahr darf ich mit einem Gastbeitrag den Blog des Wieken-Verlag-Autorenservices bereichern, und ich freue mich sehr darüber. „Was betrachten Sie als Ihr Lebenswerk?“ Ist diesmal die Frage. Nun, ich bin in den Vierzigern, und da von einem Lebenswerk zu sprechen, ist vielleicht ein wenig vermessen. Deshalb möchte ich es eher Lebensaufgabe nennen.
Nun, ich habe das Glück, in einem Haushalt aufgewachsen zu sein, in dem man mir unter anderem drei Dinge mitgab: die Liebe zur französischen Sprache und zu Frankreich selbst, die Liebe zur Musik und die Liebe zur Literatur. So bin ich nicht nur mit Goethe und Schiller groß geworden, sondern auch mit Racine, den ich noch immer sehr verehre, und Molière. Wenn man mich nach einem barocken Komponisten fragt, werde ich eher Charpentier nennen als Bach – nichts gegen Herrn Bach, aber Sie sehen, meine Seele ist eher französisch als deutsch. Und wenn man mich nach meinem persönlichen Helden im Geschichtsbuch fragt, werde ich immer antworten: Louis XIV.
Über meine Faszination und die Gründe dafür durfte ich letztes Jahr im Sommer-Beitrag auf diesem Blog bereits berichten. Initialer Anstoß, selbst über den König zu schreiben, waren für mich die Widersprüchlichkeiten, die ich zwischen der Darstellung in Frankreich und der Darstellung in Deutschland fand. Doch als ich vor über 20 Jahren mit meiner Recherche begann, stieß ich unweigerlich beim Quellenstudium auf den Namen Louise de La Vallière, die insbesondere in der deutschen Geschichtsschreibung, wenn sie denn überhaupt Erwähnung findet, noch etwas weniger freundlich dargestellt wird als der König. Blond, naiv, nicht eben klug“, ist eine vielfach vertretene Meinung. Doch wie kommen solche Meinungen über sie zustande? Nun, sie ist die einzige, die angeblich nichts hinterließ – oder zumindest keine Lebenserinnerungen. In Frankreich sind vor einigen Jahren sogenannte Memoiren von ihr aufgetaucht, die sich aber schnell als Fälschung herausstellten. Ihre sogenannten „Reflexions sur la miséricorde de Dieu par une dame pénitente“ – „Gedanken über die Barmherzigkeit Gottes von einer Sünderin“ wirken nicht nur im Titel, sondern auch in der Schreibweise sehr bemüht, und stehen mittlerweile ebenfalls in der Diskussion, denn die Urheberschaft von Louise de La Vallière wird stark angezweifelt.
Nun, wenn sie nicht selbst gesprochen hat, dann muss man offensichtlich über sie sprechen. Dies taten Damen, die allen Grund zum Neid haben. Merkwürdig, von Liselotte von der Pfalz bishin zu der Marquise de Maintenon, die beide nicht das sind, wozu die Geschichtsschreibung sie gemacht hat, gibt es eine ganze Menge von Plaudertäschchen am Hof des Sonnenkönigs, so könnte man glauben – die aber auch nur ein Mosaikstück liefern, einen Teil, etwas, was sie vielleicht selbst nicht einmal gesehen, sondern wiederum nur zugetragen bekommen haben. Die einzige, die lediglich am Rande oder fast gar nicht zu existieren scheint, ist Louise de La Vallière.
Ich suchte also weiter und hatte das unfassbare Glück, an documents inédits, nicht herausgegebene Dokumente, zu gelangen, die eine ganz andere Frau zu schildern scheinen: Klug, eine hochgebildete Frau mit feinem Humor und echter Herzenswärme. Die Fragen häuften sich: aus dem reichhaltigen Schriftverkehr zwischen Louis XIV und Louise de La Vallière ist nichts mehr erhalten – sagt man. Auch dies empfand ich als merkwürdig. Die Zeitzeugen berichten, dass die beiden sich jeden Tag geschrieben haben, teilweise sogar mehrfach, selbst, wenn sie unter dem gleichen Dach waren. Manchmal ganze Briefe, manchmal nur kleine Notizen, rasch und verstohlen zugesteckt. Selbst, wenn man die offizielle Geschichtsschreibung zugrunde legt, müssen das aber hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Dokumenten gewesen sein. Und das soll alles verschwunden sein? Das konnte ich nicht glauben.
Ich gewann den Eindruck , dass man sie sogar absichtlich in den Hintergrund drängen könnte, denn selbst in Versailles findet man so wenig von ihr, obwohl doch ihre Geschichte eng mit der Entstehung des Schlosses verwoben ist. Bilder, die mit „Marquise de Montespan“ beschriftet worden sind, zeigen eindeutig Louise de La Vallière. Schaut man sich frühe Bilder der Montespanan, stellt man fest, dass die Damem sich noch nicht einmal sonderlich ähneln. Das Drama „The Duchess of La Vallière“ eines englischen Dramatikers warf noch mehr Fragen auf, denn es bringt zum Ausdruck, was auch meine Recherchen ergeben haben: dass Louise de La Vallière den Weg ins Kloster nicht freiwillig gewählt hat.
Eine weitere Absonderlichkeit gesellte sich dazu: in Herrenchiemsee, das der bayerische König Ludwig II. als Hommage an Louis XIV hat errichten lassen, wird ihr mit entsprechender Würdigung gedacht. Über den Fund, der mich endgültig daran hat denken lassen, dass sich die Geschichte anders zugetragen haben könnte als man sie bis heute erzählt, habe ich ebenfalls im ersten Teil berichtet.
Um 1685 herum gibt es ein Dokument, in dem folgende Zeilen zu lesen sind: „Le Roy prit la décision […] parce que la Dame de La Vallière le voulut.“ „Der König traf die Entscheidung, […], weil die Dame de La Vallière es so wollte“ Dieses sind nur einige Aspekte, die darstellen, was mir während des Schreibens geschehen ist. Mein Fokus richtete sich zunehmend vom König weg zu Louise de La Vallière hin, obwohl ihrer beider Geschichte natürlich eine gemeinsame ist – und meine weiteren Recherchen ergaben eine nahezu unglaubliche Geschichte, die ihre Auswirkungen bis in die heutige Zeit hat.
Mit „Die Sonnenkönigin – Frankreichs vergessene Königin“ habe ich letztes Jahr im Lysandra Verlag den ersten Band einer Reihe herausgebracht, der als Prequel die Geschichte des Königs Louis XIV und seiner vergessenen Königin neu erzählt. Der im Juni erschienene zweite Band „Die Sonnenkönigin – Louises Lächeln“ greift nun die Kindheit und Jugendjahre der beiden auf, und natürlich ihre ersten Begegnungen.
Auch hier lag mein Fokus darauf, insbesondere in die Kindheit und Jugend von Louise de La Vallière, über die nicht sonderlich viel bekannt zu sein scheint, etwas mehr Licht zu bringen, und die Kindheit des Königs von einigen anderen Blickwinkeln aus zu betrachten.
Diesen Bänden werden noch einige folgen. In den langen Recherche-Jahren habe ich nämlich so viel Material zusammengetragen, dass es noch für einige Bücher reichen wird. Zudem bin ich bei diesen Recherchen auch auf Unregelmäßigkeiten in der Geschichte des unglücklichen Königs Louis XVI und seiner Königin Marie Antoinette gestoßen – beide berichten in meinem Buch ihre Sicht der Dinge ungefähr 80 Jahre später. Und so habe ich den ehrgeizigen Plan gefasst, nicht nur die Geschichte meiner Hauptprotagonisten zu erzählen, sondern auch die dieser beiden. Darüber hinaus habe ich faszinierende Fundstücke gemacht, was einige der Kinder meiner Protagonisten angeht, und auch da haben manche sicherlich ein eigenes Buch verdient. Nun, man sieht also, nachdem ich nun einige Jahrzehnte mit Recherche verbracht habe, möchte ich nun gerne einige Jahrzehnte mit Schreiben verbinden. Ich möchte die Geschichte der Personen, die mir in all den Jahren ans Herz gewachsen sind, so erzählen, wie sie sich tatsächlich zugetragen hat. Ja, in einer solchen Situation muss man auch immer mit Gegenwind rechnen, und davon habe ich auch schon einigen erfahren. Doch spüre ich bei jeder Zeile, die ich zu Papier bringen, dass ich das, was ich tue, tun muss. Und deshalb kann ich mit gutem Gewissen sagen: das ist meine Lebensaufgabe.