Am Anfang eines Buchs wollen wir Autor*innen Leser*innen verlocken. Sie sollen erste Erfahrungen mit den Charakteren machen und sich für die Handlung öffnen, aber vor allem sollen sie das Buch weiterlesen. Dazu können wir Fakten liefern oder einen Nebel von Andeutungen, Hauptsache, die Leser*innen werden neugierig. Aber in diesem ersten Angebot liegen vor allem zwei Gefahren.
Gefahr 1 – Nebel behindert die Sicht auf die (mögliche) Handlung
In Kapitel 1 heißt die Erzählerin oder der Erzähler die Leser*innen willkommen. Das geschieht meist eher unauffällig, wenn die Leser*innen direkt in die Handlung gestoßen werden und sie sich mit den ersten Charakteren und deren Problemen auseinandersetzen müssen. Doch es gibt auch die Möglichkeit, die Leser*innen erst einmal zu begrüßen, sich vorzustellen und sie an die Hand zu nehmen. Solche Anfänge können effektiv sein, aber oft wirbeln sie viel Nebel auf. Durch diesen Nebel geistern Andeutungen, über die/den Erzähler*in, über die Charaktere, den Ort der Handlung, die Handlung selbst. Leser*innen fühlen sich dann oft alleingelassen oder gelangweilt. Beides sind keine guten Voraussetzungen, um sie tiefer in das Buch zu locken.
Gefahr 2 – Zu viele Informationen lähmen die Neugier
Wer statt diffuser Andeutungen den Leser*innen Informationen – über die Charaktere, den Ort, die Zeit etc. – liefert, erreicht bei anderer Vorgehensweise dasselbe Verhalten der Leser*innen. Zu viele Informationen, besonders zu Beginn eines Buchs, belasten das Gedächtnis und entzaubern diese erste Begegnung mit dem Buch und seinen Charakteren. Zudem fühlen sich einige Leser*innen schnell belehrt und ziehen sich aus dieser Situation durch Abbruch der Lektüre zurück.
Gefahren bannen – Auf der Suche nach dem Mittelweg
Wer Leser*innen gerne durch einen Nebel leiten möchte, um Spannung, Vertrauen und Intimität herbeizuführen, sollte dies mit Bedacht tun und sich frühzeitig durch Gespräche mit Testleser*innen rückversichern, ob der Versuch gelingt. Nebel kann ein Gefühl der Verbundenheit auslösen. Leser*in und Erzähler*in gehen gemeinsam durch eine nur teilweise sichtbare Landschaft. Die Leser*innen müssen vertrauen, dass die/der Erzähler*in den Weg kennt und sie in eine spannende Handlung führt. Dieses Vertrauen darf nicht überstrapaziert oder missbraucht werden. Ein nebulöses, mit Andeutungen gespicktes erstes Kapitel sollte kurz gehalten werden. Die daraus auftauchende Handlung wiederum sollte den Weg durch das Angedeutete wert sein.