Wenn der erste Entwurf eines Romans geschrieben ist, geht es an die Überarbeitung. Von diesem Moment an ist die Daseinsberechtigung eines jeden Worts in Gefahr. Das böse Adjektiv muss den Rotstift fürchten, ebenso wie Adverbien, Nominalphrasen, verschachtelte Nebensätze und Wörter zweiter oder dritter Wahl. Aber ist das Adjektiv wirklich ein so böses Wort, dass es ganze Romane kaputtmachen kann?
Wer macht die Arbeit in diesem Satz?
Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen: In einem seiner Romane beschreibt Anthony Trollope die Familie Stanhope. Über Mrs Stanhope, eine Nebenfigur, lässt er uns wissen, dass sie erst spät am Tag ihre Räume verlässt und sich nur einmal ankleidet. Dies aber mit Stil. Sie (oder ihre Zofe) wisse, wie man eine Konstruktion dekoriere, statt eine Dekoration zu konstruieren.
Mit diesem Satz erfahren wir nicht nur etwas über Mrs Stanhope und die Kosten, die für ihren Unterhalt anfallen und wahrscheinlich nicht bezahlt werden. Wir lernen etwas über die Funktion eines Schmuckstücks: Es setzt einen Akzent, es lenkt den Blick, es macht die zugrundeliegende Konstruktion aus Fischbein und Stoff zu einer Aussage über die Trägerin.
Nennen wir die Dekoration Adjektiv, und wir haben die wichtigste Funkion dieser Wortart gefunden. Adjektive sollen die Aufmerksamkeit auf ein Nomen lenken, sie sollen Informationen geben, die das Nomen ergänzen. Das können sie subtil erreichen oder mit Eklat. Bei einer plumpen Verwendung stiften sie Verwirrung oder schaffen Langeweile. Das „böse“ Adjektiv ist nicht wirklich so nutzlos, wie es manchmal dargestellt wird. Aber zu hoch dosiert, schadet das Adjektiv einem Text.
Wenn die Gefahr der falschen Dosierung beim Adjektiv so groß ist, müssen wir uns fragen, ob es Wortarten gibt, von denen wir ohne Angst viele in einen Text packen dürfen. Ich meine, Verben sind so eine Wortart. Verben können die Dynamik variieren, Atmosphäre andeuten, Persönlichkeiten charakterisieren. Die schwere Arbeit im Satz übernehmen sie. Nicht umsonst stehen sie in deutschen Sätzen an so auffälligen Positionen: an Position zwei und dem Ende in Aussagesätzen und Wortfragen, an Position eins in bestimmten Fragen.
Arbeitet das böse Adjektiv nicht?
Arbeit und Organisation im Satz sind nichts für ein Adjektiv. Seine Umstände hindern es an aktivem Auftreten. Mal steht es eingeklemmt zwischen Artikel und Nomen, dann schleppt es eine Endung mit sich. Oder es steht nackt und endungslos am Satzende hinter einer Form von sein, dem am wenigsten dynamischen Verb. Immer bezieht es sich auf ein Nomen. Diese Wortart ist auch nicht für Aktion geschaffen. Deutsche Nomen sind zudem oft lang, haben viele Silben und sind von kleinen Wörtern wie Artikeln und Präpositionen umgeben. Nomen wollen mit Bedacht ausgewählt werden, damit sie möglichst viele Informationen enthalten und an ihrer Position im Satz auch noch schön klingen.
Das Adjektiv rankt wie eine Kletterpflanze am Nomen. Leichtsinnig gewählt, erdrückt es das Nomen. Zu oft erwähnt, lähmt es den Satz. Lieblos hingeschrieben, lässt es das Nomen in traurigem Licht erscheinen, indem es seine Informationen übertönt oder ihnen sogar widerspricht.
Damit das Adjektiv seine betonende Funktion erfüllen kann, müssen wir uns disziplinieren. Wenn wir mit einem Verb ausdrücken können, was wir möchten, sollten wir das Verb wählen. Wenn nur ein Adjektiv das Nomen präzisieren kann, sollten wir das Adjektiv mit ungeheurer Sorgfalt aussuchen. Überflüssige Adjektive müssen wir opfern, damit die notwendigen strahlen können.