Willkommen zur fünften der kreativen Schreibübungen in diesem Sommer. Diesmal geht es um stumme Begleiter unseres Alltags: Objekte aus Haus und Hof. Manche Dinge begleiten uns unbemerkt ein Leben lang, andere nur in einer Lebensphase, dafür ist unsere Bindung an sie intensiver. Gelegentlich gehört ein Gegenstand zum Haus oder zur Familie, mehr als nur eine Person oder eine Generation damit lebt. Sie sind Zeugen so vieler Ereignisse. Es wäre interessant zu wissen, wie sie diese Ereignisse erlebt haben.
Übung 1: Gegenstände berichten über Ereignisse
In Museen können wir Schmuck und Zierrat aus alten Zeiten bewundern. Wir sehen ihr Alter, wir sehen ihre Pracht. Manchmal werden die Objekte in einen Kontext eingebunden präsentiert, oft genug stehen sie alleine, damit wir uns ganz auf ihre Form, ihren Glanz und ihre Wirkung konzentrieren können.
Haushaltsauflösungen und Flohmärkte wiederum zeigen uns die Besitztümer anderer Menschen stets ohne Kontext. Gestapelt oder aufgereiht nach Verwendung sehen wir sie und die Schäden, die sie durch Benutzung bekommen haben. Diese leblosen Objekte haben etwas erlebt. Sie wurden gehalten von lebendigen Menschen. Meistens kennen wir weder die Menschen noch die Umstände, unter denen sie lebten und die ihren Umgang mit ihren Besitztümern prägten.
Was würden wir erfahren, könnten wir die stummen Zeugen befragen? Welchen Streit erlebten die Kerzenständer, welche Tränen tropften auf die fleckigen Buchseiten? Kochte die Besitzerin des Kochbuchs besonders häufig das Gericht, bei dem sich die Seiten von selbst öffnen? Was besprach die Familie, wenn das kaum sichtbar gestopfte Damasttischtuch auf dem Eichentisch lag? Warum gibt es zu den sechs Tellern nur fünf Tassen? Was schrieb der Eigentümer des Tintenfasses? Warum ist die Puppe trotz ihres Alters kaum ohne jegliche Schramme?
Übung 2: Objekte kommentieren Ereignisse
Wir können uns fragen, was die Gegenstände vor uns erlebt haben. Aber wollen wir wirklich wissen, wie sie die Ereignisse bewerten? Was empfand der Teller, als die Ehefrau seine Kollegen ihrem Ehemann vor die Füße warf? Konnte er die Wut der Frau nachvollziehen, trauerte er um die Scherben auf dem Linoleum, hielt er zu dem Ehemann? Fand die Vase die Blumen der verliebten Schülerin romantisch oder ihrem feinen Porzellan unwürdig? Wollten Messer, Gabel und Löffel in ein Geschirrhandtuch gewickelt zwischen Kleidung von Ostpreußen nach Ostfriesland reisen? Wären sie lieber in dem polierten Geschirrschrank im Esszimmer geblieben? Bedauerte der Löffel aus dünnem Blech, dass ihn niemand mehr aus der Schublade nahm, nachdem er über Jahrzehnte mit in den Kohleschacht eingefahren war? Schlug zumindest das Gewissen des Kerzenleuchters, als er gegen den Schädel der Erbtante geschlagen wurde?