Den Lesern vertrauen und an die Urteilskraft der Leserinnen glauben — Manche Buchbesprechungen in den Medien lassen daran zweifeln, ob das eine gute Idee ist. Aber dann steht da eine echte Leserin oder ein echter Leser, und diese Person spricht nicht in den abgedroschenen Phrasen der Literaturredaktionen und hat tatsächlich kluge Bemerkungen zu einem Buch zu machen. Was bedeutet das für das Schreiben?
Den Lesern vertrauen, an die Leserin glauben — Was heißt das für den Text?
Wer Bücher liest, gehört zu den Menschen, die es schaffen, nicht nur die Wörter und Sätze zu erlesen, sondern auch Zusammenhänge zwischen den Wörtern und Sätzen zu erkennen. Diese Menschen haben sogar noch die Ressourcen frei, während des Lesens über ihre Reaktionen auf den Text nachzudenken, zu spekulieren, wie es weitergeht, und den Text nach eigenen Maßstäben zu bewerten. Das alles ist nicht selbstverständlich, immerhin leben in Deutschland über sechs Millionen erwerbsfähige Menschen, die dazu nicht in der Lage sind.
Wer Bücher liest, ist intelligent und interessiert. Diese Personen haben Lebenserfahrung und können Situationen und Menschen beurteilen. Im richtigen Leben würde niemand es wagen, ihnen zu sagen, was sie denken sollen. In Büchern sollte das auch niemand wagen.
Für Autor*innen und ihre Texte heißt das vor allem, dass sie ihren Lesern vertrauen sollen. Das zeigt sich darin, dass sie nicht haarklein beschreiben, was zu sehen und zu denken ist. Sie geben ihren Leserinnen den Spielraum, sich selbst eine Meinung über eine Situation und über das Verhalten der Charaktere in der Situation zu bilden.
Was heißt das in der Praxis?
Vertrauen heißt auch anzunehmen, dass Leser*innen anstrengende, komplizierte und sogar lange Textstellen bewältigen und verstehen können. Niemand mag Unterforderung, sie ist eine Beleidigung der Fähigkeiten. Schwierige Zusammenhänge lassen sich immer auf eine Weise präsentieren, die mit etwas Nachdenken verständlich ist. Lange Passagen können unauffällig gegliedert werden, sodass nachvollziehbare Abschnitte entstehen. Ungewöhnliche Wörter können eine Erklärung im Text finden. Außerdem ist es erwachsenen Leser*innen von E-Books zuzumuten, einzelne neue Informationen online zu klären. Ob das während des Lesens oder danach geschieht, entscheiden die Leser*innen selbst. Ebenso entscheiden sie, ob sie alles verstehen müssen, wenn die Textstelle spannen geschrieben ist.