Wieken-Verlag Autorenservice Autoren,Schreiben Passiver Widerstand: Das ungute Gefühl, schreiben zu wollen

Passiver Widerstand: Das ungute Gefühl, schreiben zu wollen

 Mir fällt immer wieder auf, dass in Foren Menschen mitteilen, sie würden gerne schreiben. Diese Menschen klagen, dass sie sich nicht trauen. Meistens erhalten sie aufmunternde Antworten von anderen Forumsmitgliedern, manchmal aber auch dumme oder gemeine Kommentare, die das ungute Gefühl nur verstärken dürften.

Der Wusch zu schreiben löst heftige Reaktionen aus.

Was offensichtlich ist, gefällt

Ich erkläre mir diese Reaktionen mit der Unsichtbarkeit des Schreibprozesses.

Ein Musiker, angehend oder geübt, produziert Töne. Es ist nachvollziehbar, was geschieht. Musik wirkt auf die Emotionen, man mag sie oder man mag sie nicht, aber man spürt ohne Anstrengung eine Wirkung. Experimentelle oder alte Musik ist weniger beliebt, weil sie weniger eingängig ist, aber ihre Tonfolgen wirken immer noch direkt und können spontane Reaktionen auslösen.

Bei Malern oder bildenden Künstlern ist es ähnlich. Man sieht, was sie schaffen. es ist nicht immer verständlich, nicht immer trifft es den eigenen Geschmack, aber sehen fällt leicht und eine Meinung lässt sich schnell äußern.

Kein Problem. Und Schreiben? Der geschriebene Text muss gelesen und mit dem Verstand erschlossen werden. Das ist anstrengend und deshalb unbeliebt.

Abgeschlossen und entfremdet

Schreiben verlangt Versenkung. In dem Moment, in dem ich schreibe, kann ich  an keiner Unterhaltung teilnehmen. Wenn ich schreibe, verschwindet ein Teil von mir in eine andere Welt. Für Außenstehende ist dies ein Ärgernis. Freunde und Angehörige haben immer zur Verfügung zu stehen, insbesondere wenn sie Frauen sind. Wer schreibt, steht nicht zur Verfügung. Niemand sieht, was dazu führt, dass Worte getippt oder hingekritzelt werden. Solche Vorgänge sind verdächtig.

Passiver Widerstand

Von Jane Austen wird erzählt, dass sie ihr Manuskript unter Briefpapier schob, sobald jemand den Raum betrat. Die Brontë-Schwestern saßen abends im Dunkeln zusammen, wenn Vater und Tante zu Bett gegangen waren. Sie zündeten nach Möglichkeit kein Licht an, denn das wäre Verschwendung nur für drei Frauen gewesen. Aber sie schrieben, und ihre Bücher werden heute noch gelesen.

Das war vor gut zweihundert Jahren. Sollte sich seit damals nichts geändert haben?

Für viele Menschen ist Rückzug aus der Gemeinschaft nicht akzeptabel. Wer es dennoch wagt und sich einer nicht sofort erschließbaren, nicht leicht konsumierbaren Tätigkeit hingibt, fällt unangenehm auf. Geschichten entstehen aus der Fantasie, aber wie kommen solche Ideen in einen Menschen, den man schon immer gekannt hat?

Wer schreibt, macht sich also nach wie vor verdächtig. Da wirkt eine unsichtbare Zauberei, vor der man sich auch bei elektrischem Licht fürchtet. Liest man dann die Nachrufe auf verstorbene Schriftsteller und Dichter, spürt man die Verwunderung über das, was sie geleistet haben. Es ist beruhigend, dem Publikum mitteilen zu können, dass der Verstorbene ein hohes Amt innehatte und auch Freundschaften zu angesehenen Personen pflegte. Das macht ihn „normal“. Erfolg hilft auch.

Aber ganz am Anfang, wenn man nur den vagen Wunsch zu schreiben verspürt, steht man alleine. Ich frage mich, ob es in dieser Phase hilfreich ist, andere Menschen mit dem Wunsch zu schreiben zu suchen. Es könnte sein, dass diese geteilt Einsamkeit in der Keimzeit des Schreibens hemmend wirkt. Wahrscheinlich gehört eine Phase des Schreibens unter der Bettdecke dazu, damit man später die Einsamkeit der Versenkung ertragen kann.

Niemand wird offiziell die Erlaubnis aussprechen, dass es gestattet sei zu schreiben. Diese Erlaubnis erteilt sich jeder selbst. Vielleicht muss der Wunsch noch eine Weile reifen, doch unterdrücken lässt er sich nicht. Wer schreiben will, muss, darf und wird schreiben.

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