Der personale Erzähler ist kein Charakter und auch nicht der Autor. Der personale Erzähler ist eine Stimme im Kopf des Lesers, die der Autor erschaffen hat. Die Stimme lässt Leser die Handlung aus dem individuellen Blickwinkel eines der Charaktere erleben. Dieser Charakter wird mit er/sie bezeichnet.
Leser können sich identifizieren
Der personale Erzähler ähnelt dem Ich-Erzähler. Leser sind dem Charakter, aus dessen Sicht sie die Handlung erleben, sehr nahe, so dass sie mit dem Charakter fühlen können. Auch können sie sich mit dem Charakter identifizieren und so tiefer in die Handlung eintauchen. Durch variierende Grade der Distanz des personalen Erzählers zum Charakter beeinflusst der Autor, wie viel vom Seelenleben des Charakters der Leser erfährt. So kann er auch die Bereitschaft zur Identifikation beeinflussen.
Nachteile für Autor und Leser
Nachteilig für den Autor ist dagegen, dass er die Leser nur an die Orte bringen kann, an die der Charakter den personalen Erzähler mitnimmt. Leser erhalten nur die Informationen, über die dieser Charakter verfügt. Auch erfahren die Leser nur etwas über die Gedankenwelt dieses Charakters. Was andere Charaktere in der Erzählung wissen, denken oder fühlen ist Mutmaßung des Charakters, aus dessen Sicht die Leser die Handlung erleben.
Eine Frage der Zuverlässigkeit
Die Einschränkung auf die Sicht eines einzigen Charakters birgt auch für Leser Nachteile. Sie müssen darauf vertrauen, dass die Eindrücke und Überlegungen des personalen Erzählers zutreffen. Bei einigen Charakteren wissen Leser sofort, dass sie die Erfahrungen und Gedanken des personalen Erzählers nicht fraglos hinnehmen dürfen. Beispielsweise vermittelt eine Handlung dargestellt aus der Sicht eines Kindes ein eingeschränktes Bild der Ereignisse. Kinder können nicht alle Ort aufsuchen, sie werden oft nicht in die Überlegungen der Erwachsenen einbezogen, ihr Verständnis von Zusammenhängen ist eingeschränkt. Berichtet ein personaler Erzähler aus Sicht eines Kindes über das Leben im Krieg, stehen andere Aspekte im Vordergrund als bei einem personalen Erzähler, der die selben Ereignisse aus Sicht der Mutter darstellt.
Problematisch wird es für Leser, wenn in ihnen der Verdacht aufkommt, der Charakter, aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird, könnte in seiner Wahrnehmung gestört sein. Ein psychisch kranker Charakter hat möglicherweise immer, vielleicht auch nur in bestimmten Situationen, ein verzerrtes Bild von der Realität. Leser müssen entscheiden, was sie glauben und was sie anzweifeln. Solcher Zweifel kann Spannung erzeugen.
Mehrere personale Erzähler
Um ein weiteres Feld an Eindrücken und Erfahrungen zu eröffnen, kann der Autor mehrere personale Erzählperspektiven anbieten. Wenn er die Handlung aus der Sicht verschiedener Charaktere beschreibt, gewinnen die Leser tiefere Eindrücke, müssen sich vielleicht auch mit Widersprüchen auseinandersetzen. Der Autor sollte darauf achten, dass seine Leser immer erkennen können, wessen Perspektive der personale Erzähler gerade einnimmt. Perspektivwechsel sollten immer in getrennten Textbereichen stattfinden, markiert beispielsweise durch mehrere freie Zeilen, Zeichen zwischen den Absätzen oder neue Kapitel.