Wer schreibt, ist allein. Niemand aus der Umgebung kann in unsere Gedankenwelt folgen. In dieser Gedankenwelt tragen wir die volle Verantwortung für alles. Wirklich für alles. Das kann verunsichern und Ängste wecken. Ich meine damit nicht die Angst vor dem weißen Papier, die Angst mit dem Schreiben zu beginnen oder die Angst, nicht mehr zu wissen, was man schreiben wollte oder könnte. Ich meine die Angst vor dieser großen Verantwortung den eigenen Geschöpfen gegenüber, ihrer Geschichte, ihrer Umgebung, ihrem Leiden. Eine Ursache für diese Angst sind wir selbst. Wir wollen gemocht werden, wir wollen keine Verletzungen durch leichtfertige, bewusst demütigende oder auch gerechtfertigte Kritik. Und wir glauben, wir haben eine Versicherung gegen solche Verletzungen: das Allgemeine und Abstrakte. Was das für den Leser unserer Texte bedeuten kann, bedenken wir dabei oft nicht.
Allgemein, abstrakt und schmerzlos = langweilig für den Leser
Allgemein und abstrakt zu schreiben ist einfach. Wir können alles ausblenden, was potentiell Probleme weckt. Wir können eine aufgeräumte, saubere Oberfläche bieten, schöne Texte bestimmt, gut geschrieben, aber … blutleer.
Leser merken diese Leere nicht immer. Aber wir spüren sie, weil wir genau wissen, was wir in unserem Text nicht zugelassen haben. Wenn wir unsere Emotionen zurückhalten, hinterlassen wir im Text zu wenig emotionale Anker für den Leser. Leser nähern sich Texten jedoch meistens über Emotionen an. Finden sie keine Anker, verlassen sie den Text enttäuscht.
Wie kann man sich nun selbst überlisten, wenn schon nicht überzeugen, all die vermeintlich schmerzhaften Gedanken und Ideen niederzuschreiben?
Die erste Version ist nicht für den Leser
Zunächst müssen wir uns über eine Sache im Klaren sein: Schreiben ist ein Prozess mit mehreren Phasen. Auf dem Weg zum druckreifen Text verändern wir das Geschriebene, nehmen fort, fügen hinzu. Aber um verändern zu können, muss ein Text vorhanden sein. In dieser ersten Version sollten wir uns erlauben, ins schmerzhafte Detail zu gehen. Niemand braucht je diese erste Version zu sehen (okay, vielleicht eine Literaturwissenschaftlerin in hundert Jahren), deshalb dürfen wir unsere Charaktere ihre Umgebung detailliert wahrnehmen lassen, Landschaften und Räume beschreiben, Gefühle ausleben: Hass, Gewalt, Liebe, Schmerz. Geben wir unseren Charakteren Sinne, lassen wir sie hören, riechen, schmecken, fühlen, sehen.
Jeder Eindruck kann in dieser ersten Version die Handlung voranbringen. Es muss uns nur bewusst bleiben, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt das Skalpell ansetzen und den Text von Ballast werden.
Beachtenswerte Texte zum Thema
Auf dem Jane Friedman Blog gab es Ende 2015 zwei interessante Posts zu diesem Thema. Beide Posts enthalten Beispiele von Texten vor und nach einer Überarbeitung. Rachel Starr Thomson beschreibt in The Fatal Flaw in Weak Descriptions, wie gezielt gesetzte Details in Beschreibungen den Leser emotional in die Handlung ziehen. Benjamin Vogt demonstriert in Details Help Writers Overcome Their Fear, wie sich ein Text verändert, wenn der Autor sich emotional auf das Thema einlässt und detailliert beschreibt.