Schreiben ist ein einsames Geschäft. Was wir uns in aller Abgeschiedenheit ausdenken und niederschreiben oder -tippen, ist manchmal nicht für jeden anderen Menschen nachvollziehbar. Deshalb ist es wichtig, ein Manuskript vor der Veröffentlichung fremden Augen vorzulegen. Diese fremden Augen sehen nicht nur Rechtschreib- und Grammatikfehler, sie erkennen auch Unklarheiten im Aufbau, unlogische Folgerungen und andere Eigenheiten des Texts, die das Verständnis und den Genuss einschränken. Ich schreibe hier bewusst „fremde Augen“ und ordne diese Augen keiner bestimmten Personengruppe wie Lektoren oder Beta-Leser zu. So hilfreich alle Leser vor der Veröffentlichung sein können, so gefährlich für den Text und den Autor kann sich ihr Rat auswirken.
So unsicher Autoren sich in solchen Situationen fühlen, sie benötigen das Selbstbewusstsein zu ihrem Text zu stehen und Verantwortung für ihn zu übernehmen. Im Folgenden führe ich einige Situationen auf, in denen Autoren auf gefährliches, sogar „giftiges“ Feedback stoßen können.
1. Abwertender Ton, Kritik am Autor
In Kritikgruppen oder Workshops können persönliche Beziehungen die Wahrnehmung eines Textes und seiner Charaktere beeinflussen. Die Kritik bezieht sich an der Oberfläche auf den Text, kritisiert wird aber der Autor. Dabei kann diese Form der Kritik von einem Teilnehmer stammen oder auch von allen Teilnehmern. Während es verhältnismäßig einfach ist, die persönliche Kritik einer einzelnen Person zu erkennen und sie einzuordnen, kann persönliche Kritik der ganzen Gruppe das Vertrauen in den eigenen Text und in die eigenen Fähigkeiten beeinträchtigen.
Wenn Sie sich in so einer Situation wiederfinden, sollten Sie sich aus der Gruppe zurückziehen. Da es sich um eine informelle Gruppe handelt, ist dies einfach. Schwieriger ist es, wenn Ihnen persönliche Kritik von einem Lektor entgegengebracht wird. Die Beziehung zu dem Lektor ist ein Geschäftsverhältnis, aus dem Sie sich zwar zurückziehen können. Bezahlen müssen Sie in der Regel für die erbrachte Arbeit am Text.
Manche Autoren wenden sich an Lektoren in der Hoffnung, sie könnten den Text von allen Übeln hinsichtlich Struktur, Charakterentwicklung, Sprache etc. heilen. Diese Haltung bringt Sie von Anfang an in eine untergeordnete Position. Findet der Lektor keinen Zugang zu Ihrem Text, formuliert er seine Kritik in unhöflichen und abwertenden Worten, trifft Sie dies besonders hart.
2. Oberflächliche Herangehensweise
Sie möchten etwas ausprobieren, inhaltlich wie formal. Ihr Manuskript ist gekennzeichnet von diesen Experimenten. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit dem Lektor die Experimente logisch und lesbar zu machen und in den Text zu integrieren. Aber möglicherweise erkennt der Lektor Ihre Experimente nicht, empfindet sie als chaotisch und verweist auf einen Standardaufbau, dem Sie zu folgen haben. Es ist möglich, dass Ihre Experimente an der Oberfläche wie strukturelle Fehler aussehen. Die zugrunde liegende Struktur kann oder möchte der Lektor aber nicht wahrnehmen.
Kritik von professionellen Lesern trägt besonderes Gewicht. Sie vertrauen Lektoren, weil Sie wissen, dass sie sich gründlich mit Texten auseinandersetzen. Hat ein Lektor Probleme, Ihre Absichten zu verstehen und diese Absichten im Text nachzuvollziehen, kann er Ihnen und Ihrem Text schaden.
3. Mangelnde Kenntnis Ihres Hintergrundes
Ausgehend von Ihren Erfahrungen und Interessen schaffen Sie schreibend neue Welten. Wenn Leser Ihres Manuskripts ein anderes Vorwissen haben, kann es sein, dass sie ihre Kritik auf Voraussetzungen bauen, die nicht zu Ihrem Text passen. Vielleicht schreiben Sie in der Tradition einer bestimmten Kultur, vielleicht haben bestimmte Autoren sie beeinflusst, die nicht zum Mainstream gehören. Wenn es Ihren Lesern nicht gelingt, Ihren Text korrekt einzuordnen oder Ihren Text als eigenständiges Kunstwerk zu sehen, kann die Kritik harsch und letztlich ungerechtfertigt ausfallen.
Vielleicht gelingt es Ihnen in so einer Situation, auf Ihre Absichten und die Hintergründe des Manuskripts hinzuweisen. Offene Leser werden bereit sein, sich darauf einzulassen. Andere greifen möglicherweise auf die unter Punkt 1 beschriebenen Taktiken zurück.
Stehen Sie zu Ihrem Manuskript
Kritik schmerzt. Diese Schmerzen gehören zum Lernprozess. Aber ungerechtfertigte Kritik schmerzt noch mehr und kann Sie als Autor an Ihrem Manuskript zweifeln lassen. Das Problem ist, dass Sie nicht immer sofort die gerechtfertigte von der ungerechtfertigten Kritik trennen können. Auch Lösungsvorschläge im Falle gerechtfertigter Kritik können Sie von Ihren ursprünglichen Absichten ablenken. Nehmen Sie deshalb nicht jede Kritik hin. Sie tragen die Verantwortung für Ihren Text. Setzen Sie sich mit Kritik auseinander, wenn Sie Ihnen gerechtfertigt erscheint. Finden Sie eigene Lösungsmöglichkeiten, wenn Vorschläge Ihnen zweifelhaft erscheinen. Suchen Sie sich vor allem Leser und Lektoren, denen Sie vertrauen können.