Stimmen spielen eine große Rolle für Autoren. Wir suchen unsere Stimme, mit der wir unsere Geschichte erzählen und die unsere Leser wiedererkennen können. Doch ich meine unsere innere Stimme, die Stimme, die wir hören, wenn wir denken. Ich höre sie auch zu Beginn einer Schreibsitzung, dann verschwindet sie bis zum Beginn der nächsten Sitzung. Was für eine Stimme ist das?
Eine Anregung zu diesem Post fand ich in einem interessanten Beitrag von Philip Jaekl auf aeon.
Die „innere Stimme“ und „Stimmen hören“
Die innere Stimme wird mit Denken gleichgesetzt. René Descartes meinte sie, als er schrieb „Ich denke, also bin ich“. Doch lange Zeit war es schwierig, die innere Stimme zu erforschen. Es gab keine Möglichkeit, sie zu dokumentieren oder aufzuzeichnen, schon gar nicht war es möglich, sie sichtbar zu machen. Seit den 1920er Jahre sprach der russische Psychologe Lev Vygotsky lauten Selbstgesprächen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des kindlichen Bewusstseins und Denkens zu. Im Westen maß man Selbstgesprächen und der inneren Stimme keine Bedeutung zu. Erst in den 1960er Jahren mit der Veröffentlichung einer Übersetzung von Vygotsky interessierten sich Psychologen für das Phänomen.
In den 1970er Jahren erkannte man, dass das „So tun, als ob“-Spielen von Kindern, bei dem sie beispielsweise einen Hut zur Tasse erklären oder einen Stein zu einem Stück Brot, eine bewusste Handlung darstellt, und dass Kinder sich durch Selbstgespräche durch die Handlung des Spiels leiten.
Lange war es fraglich, ob die innere Stimme auch für Erwachsene von Bedeutung ist, bis ein Psychologe ein Untersuchungsverfahren entwickelte, bei dem Testpersonen ihre Gedanken notieren und später dazu befragt werden. Als bildgebende Verfahren möglich wurden, stellte man fest, scannte man das Gehirn der Probanden während eines Interviews und verglich die Bilder mit denen von Testpersonen, die still Wörter lasen. Dabei stellte man fest, dass unterschiedliche Hirnregionen aktiviert wurden.
Im Laufe der jahrelangen Interviewreihen stellten Psychologen fest, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen oft mehrere innere Stimmen haben, die sie meistens nicht parallel wahrnehmen. Ein kleiner, aber signifikanter Teil der Bevölkerung hört diese Stimmen bewusst, aber davon ist nur ein kleiner Teil psychisch krank.
Innere Stimme mit Grammatik oder mit Löchern
Die innere Stimme kann ganz bewusst und grammatisch korrekt sein, etwa wenn wir überlegen, was wir beim Stellen eines Antrags sagen wollen, aber oft treten Löcher auf. Es fehlen Wörter oder die hörbare Komponente oder die Sprache wird auf die Bedeutung reduziert, bis man nicht mehr von „Sprache“ sprechen kann. Zugleich bleibt für die Menschen die sprachliche Erfahrung intakt.
An dieser Stelle wird es für Autoren interessant.
Welche Geschichten diktiert uns die innere Stimme?
Schreiben ist Denken. Wenn wir die Abläufe des Schreibens mit den Händen und Fingern einmal gemeistert haben, laufen sie automatisch ab und beeinträchtigen nicht mehr den Prozess des Schaffens. Und der besteht darin, dass wir ein komplexes Gewebe aus Eindrücken in Sprache übersetzen, so dass andere Menschen nachvollziehen können, was wir meinen.
Ich finde diesen Vorgang besonders interessant, weil Autoren in zwei grob umrissene Gruppen fallen, die beide sprachlose Gedanken in Worte fassen können. Wer ohne größere Planung schreibt und erst beim Nachlesen entdeckt, was er niedergeschrieben hat, macht sich in gewisser Weise zu einem Seismographen des eigenen Denkens. Wer akribisch plant, macht bereits in der Planung seine Gedanken sichtbar. Das Fertigstellen der Geschichte ist dann ein mechanischer Akt. So beschreibt es auch Mel auf dem Schreibmeer-Blog. Sie trennt den kreativen Prozess, das Plotten, vom reinen Tippen. Doch auch Mel schreibt, dass sie während des Tippens eine Handlung miterlebt und trotz Planung manchmal von Wendungen überrascht wird. Die innere Stimme wird durch das Plotten nicht ausgeschaltet und meldet sich mit Änderungen, die dann aber geringere Auswirkungen hat als beim Drauflosschreiben.