Wenn die Welt untergeht, wird das nicht am falschen Sprachgebrauch liegen. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, als stünde der Untergang der Welt, zumindest der zivilisierten bevor. Das Gefühl entsteht nicht, wenn ich im Sprachunterricht stehe und meine Teilnehmer sprechen höre. Die machen selten die Fehler, die meine Haare sich langsam aufrichten lassen. Es genügen hingegen fünf Minuten öffentlich-rechtliches Radio am Morgen, um in mir einen Kampf auszulösen. Viele Autoren kennen diese Auseinandersetzung, wenn auch nicht immer in ihrer Seele. Es geht um die Bedeutung der Wörter, und es kämpfen in mir Tradition und Kreativität. (Manchmal auf einer Seite gegen den NDR.)
Die Bedeutung der Wörter ist flexibel und veränderlich
Ich weiß, dass dieser Satz zutrifft. Ein Blick in ein etymologisches Wörterbuch, also ein Wörterbuch der Wortgeschichte, zeigt mir, wie sehr sich Sprache verändert und welche Einflüsse für die Aufnahme eines Wortes in eine Sprache und für die Anpassung dieses Wortes an die Bedürfnisse der Sprecher verantwortlich sind. Das muss mir nicht gefallen. Ich muss auch nicht alle Veränderungen mitmachen, solange meine Sprache für andere Sprecher verständlich bleibt.
Sprachwandel ist kurzfristig und sprunghaft
1986 war ich in der zehnten Klasse. Mein Klassenlehrer regte sich über seine Schwester auf, die von Aachen nach München gezogen war und nach einigen Jahren im Süden Sätze sagte wie „Ich rauche, weil es schmeckt mir.“ Mir war bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Satz mit weil begegnet, bei dem das Verb nicht am Ende stand. Weil-Sätze sind Nebensätze, daher steht das Verb am Ende. Denn-Sätze sind hingegen Hauptsätze, das Verb steht in Position zwei. Mein Lehrer hätte seine Schwester lieber sagen hören „Ich rauche, weil es mir schmeckt.“ Vielleicht hätte er auch das ungern gehört, denn er war Nichtraucher.
2008 verwendete die Grundschullehrerin meiner Tochter Weil-Sätze mit dem Verb vorne. Das war ein Problem, nicht nur weil ich davon aufgerollte Fingernägel bekam, vielmehr übernahmen einige Kinder dieses Satzbaumuster und die Lehrerin strich entsprechend formulierte Sätze in Aufsätzen als falsch an.
Interessant ist, dass bisher kein anderer Nebensatz um die Position seines Verbs fürchten muss. Nur der Status von Weil als Nebensatz-Konnektor ist gefährdet. Vielleicht ändert sich auch das eines Tages.
Andere Veränderungen, oder auch falsche Verwendungen, waren die trennbare Verwendung von missverstehen und überführen. Ebenfalls in den 1980er Jahren hörte man auf dem WDR öfters den Satz „Da verstehen Sie mich miss“ im Sinne von „Da verstehen Sie mich falsch.“ Miss ist jedoch eine nicht-trennbare Vorsilbe, der Satz hätte lauten müssen „Da missverstehen Sie mich.“ Zugegebenermaßen klingt dieser Satz nicht besonders schön und lässt sich kaum schnell sprechen. Die Trennung von missverstehen verschwand irgendwann in den Archiven des WDR. Ich habe sie seit Jahrzehnten nicht mehr gehört.
Dagegen versuchen Mitarbeiter des NDR in unregelmäßigen Abständen, das nicht-trennbare überführen zu trennen. Als Folge hört man dann Sätze wie „Die Leichen der Soldaten wurden in die USA übergeführt.“ Tatsächlich wurden sie überführt, denn nicht nicht-trennbare Verben bilden das Partizip Perfekt ohne das Perfektzeichen ge-. Das ist Lernstoff aus dem Anfängerbereich A1, was aber natürlich nicht für Muttersprachler gilt.
Meines Wissens betrifft dieser Trennungswunsch kein anderes nicht-trennbare Verb. Zugleich ist es möglich, dass die komplizierte Trennung von trennbaren und nicht-trennbaren Verben sich eines Tages auflöst.