Grammatik und Freiheit schließen sich für manche Menschen aus. Das gilt ebenso wie für Grammatik und Kreativität. Ich habe schon an anderer Stelle die Behauptung aufgestellt, dass Grammatik die Muskulatur der Sprache ist. Nur eine gut trainierte Grammatik kann Autor*innen unterstützen, wenn sie ihre Ideen in eine Geschichte verwandeln möchten. Nur mit einer gut trainierten Grammatik gelingt es ihnen, einen Text zu schreiben, den Leser*innen verstehen und genießen können.
Grammatik und Freiheit – Lesbare Texte
Ich lese jeden Tag Texte, in denen Grammatik nur ansatzweise vorhanden ist. Diese Texte sind schwer lesbar. Oft bleibt mir nur, Zusammenhänge zu raten. Manchmal sind die Zusammenhänge erkennbar, auch die Idee dahinter, doch durch die vielen Abweichungen von den Standardformen eines Satzes, ermüden meine Augen beim Lesen. Das sind normalerweise Texte von Menschen, die Deutsch lernen. Ich habe solche Texte aber auch schon von deutschen Muttersprachlern zur Veröffentlichung angeboten bekommen.
Grammatik bringt Wörter an ihre Position und gibt ihnen eine Form. Leser*innen erkennen die Positionen und Formen. Sie entnehmen den Positionen und Formen Informationen. Manchmal entdecken sie darin einen Rhythmus, der sie antreibt weiterzulesen. Viel von dem, was wir Grammatik nennen, ist eine alte Vereinbarung zwischen Schreibenden und Lesenden. Gegen solche Vereinbarungen kann man effektvoll verstoßen. Wer das zu oft und vor allem wer das unabsichtlich tut, verprellt Leser*innen.
Grammatik und Freiheit – Die Möglichkeiten der Grammatik
Mithilfe der Grammatik lässt sich die Aussage eines Texts nicht nur vermitteln. Grammatik ist auch ein Multifunktionswerkzeug, mit dem das Tempo eines Texts gesteuert werden kann. Grammatik gibt Autor*innen Verfahren an die Hand, Leser*innen durch Zeitebenen zu führen, Wahrscheinliches von Unwahrscheinlichem zu unterscheiden oder Stimmungen zu wecken. Vieles von dem, was der Deutschunterricht als stilistische Mittel verkauft, sind grammatische Strukturen, die einen Text formen. Daher sollten Autor*innen wie Leser*innen vorsichtig sein, wenn sich jemand öffentlich über die Zwänge der Grammatik mokiert. Oft geht es bei solchen Behauptungen gar nicht um Grammatik als Strukturmittel, sondern um Stilfragen.