Unsicherheit ertragen

Unsicherheit

Jedes Schreibprojekt beginnt mit einem Hochgefühl: Das ist das Buch des Jahres, mein bestes Buch, die raffinierteste Handlung, die ausgereiftesten Charaktere, und es geht mir wie nichts von der Hand. Nach kurzer Zeit hat die Begeisterung ihren Höhepunkt erreicht und die Unsicherheit meldet sich. Die ersten Schwierigkeiten treten auf. Müdigkeit setzt ein. Zweifel beginnen zu nagen. Es folgt die Erkenntnis, dass garantiert niemand diesen Schrott lesen will. Aber nach verbissenem Schreiben, kurz bevor das Laptop in der Ecke landet, steigt der Optimismus wieder an. Mit diesem Wechsel aus Unsicherheit und Euphorie müssen wir leben.

Unsicherheit – Teil des kreativen Prozesses

Der kreative Prozess umfasst je nach Modell der Beschreibung drei oder vier Phasen. Alle Modelle beinhalten Phasen, in denen man sich gut fühlt, und Phasen, in denen man an der Idee und eigenen Fähigkeit, die Idee umzusetzen, zweifelt.

Wer wie Autor*innen an langen kreativen Projekten arbeitet, muss lernen, mit dieser Unsicherheit zu leben, sie zu überwinden und den kreativen Prozess in die nächste Phase zu bringen. Das ist niemals einfach und verlangt eine Fähigkeit, die man freundlich als Hartnäckigkeit und weniger freundlich als sture Verbissenheit bezeichnen kann. Wer diese Fähigkeit nicht besitzt, kann ein kreatives Projekt nicht durch die Phasen der Niedergeschlagenheit führen, gibt auf und darf sich anschließend mit Selbstvorwürfen und Niedergeschlagenheit auseinandersetzen.

Unsicherheit – der lange Weg durchs dunkle Tal

Autor*innen, die jene Hartnäckigkeit oder Verbissenheit besitzen, lernen, an einem kreativen Projekt festzuhalten, auch wenn es wenig Reiz mehr ausübt und wenn es scheint, als wäre es unmöglich, aus diesem Wust an schwachsinnigen Ideen noch einen zusammenhängenden Text oder gar ein Buch zu machen. In diesen Phasen ist es wichtig, regelmäßig an dem Text weiterzuarbeiten, sich auf vermeintlich vernünftige Ratschläge der nicht-schreibenden Mitmenschen (Verschwende deine Zeit nicht.) keinesfalls einzulassen oder gar den Einflüsterungen des inneren Schweinehundes (Hör auf damit, das wird doch eh nichts.) zu folgen.

Zur Kreativität gehört auch das stumpfe Weitermachen.

Unsicherheit – die Liebe erwacht erneut

Irgendwann scheint aus dem Nichts ein Geistesblitz zu kommen. Der Autor/die Autorin erkennt, dass der Text vielleicht doch nicht so schlecht ist, dass eine kleine Veränderung hier oder eine große Ergänzung da den Text wendet und plötzlich ein Roman vorhanden ist, wo vorher nur aneinandergereihte Sätze waren. Das Weiterschreiben ist nun eine Freude, die Ideen sprießen wieder, der Text gelingt.

Dieses Gefühl kann man nicht konservieren, aber man kann sich daran erinnern.

Das ist auch notwendig, denn irgendwann neigt sich die Kurve wieder, und spätestens beim Überarbeiten des ersten Entwurfs droht ein neues Tief mit neuer Unsicherheit – aber eben auch danach ein neues Hoch.

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