Natürlich wollen wir alle so gut wie möglich schreiben. Nein, insgeheim wollen wir die besten Bücher schreiben, von den Leser*innen am meisten geliebt und von den Kolleg*innen am meisten bewundert werden. Gegen diese Wünsche ist nichts zu sagen, außer … dass sie wie kleine Wunden in der Haut sind, durch die das Gift des Perfektionismus in unseren Körper sickert. Und dieses Gift verursacht nicht nur Schmerzen und Seelenqualen, es kann die Kreativität lähmen.
Das Gift des Perfektionismus – von Wünschen und Unzulänglichkeiten
Perfektionismus ist mit dem Wunsch verbunden, Höchstleistungen zu erbringen. Daher sitzen wir stundenlang am Schreibtisch, ringen um Wörter oder um die Dramatik einer Szene. Beim Schreiben treibt uns der Perfektionismus an, denn wir wollen brillieren, beim Überarbeiten öffnet er uns aber Abgründe, in die wir bereitwillig fallen. Viele Autor*innen sagen von sich, dass sie mit Herzblut schreiben. Ihre Identifikation mit Ihrem Text ist nicht nur eng, sie ist emotional und persönlich. Jede Kritik am Text ist Kritik an der eigenen Person. Das Gift des Perfektionismus wirkt beispielsweise, wenn wir uns und unserem Text als Einheit erleben. Wenn andere unseren Text kritisieren, kritisieren sie uns. Wenn unser Text schlecht ist (Kann Kritik anderes sein als die Suche nach Fehlern und Schwächen?), sind wir auch schlecht.
Das Gift des Perfektionismus – die Lähmung der Kreativität
Der kreative Prozess umfasst verschiedene Phasen, in denen die Begeisterung die Arbeit vorantreibt und in denen der Zweifel die Arbeit bremst. Perfektionismus in der Phase der Euphorie kann lähmen, wenn es nicht mehr akzeptabel ist, Schreibfehler zu machen oder Ungenauigkeiten im Ausdruck zuzulassen. Die erste Version eines Manuskripts, die Erschaffung eines Texts als Grundlage für die Weiterarbeit, darf Fehler beinhalten. Das Gift des Perfektionismus erlaubt diese Fehler jedoch nicht. Für die Korrektur muss die Arbeit unterbrochen werden, die Konzentration auf das Ganze wird umgeleitet auf das Detail. Die vielen Unterbrechungen erscheinen nicht nur als Beweis für eine schlechte Arbeitshaltung, sie verzögern den Fortschritt der Arbeit, was wiederum ein Beweis für andere Unzulänglichkeiten ist. Sollte dieses mängelbehaftete Projekt nicht abgebrochen werden?
Ist die erste Version tatsächlich geschrieben, beginnt mit der Überarbeitung der natürliche Schwung des Pendels nach unten. Das Gift des Perfektionismus wirkt sich jetzt noch stärker aus. Es lässt nur noch die Unzulänglichkeiten des Texts erkennen, die Schreib- und Grammatikfehler, die hölzernen Charaktere, die lächerliche Handlung, die zahlreichen Stellen, die überarbeitet oder gestrichen werden müssen. Die Lust am Text geht gänzlich verloren, bis schlimmstenfalls eine Abneigung gegen den Text entsteht. Und wieder drängt sich die Frage auf, ob es sich lohnt, das Projekt fortzusetzen?
Das Gift überwinden
Perfektionismus kann lähmen, doch wie viele Gifte kann er in der richtigen Dosierung heilend wirken. Dazu gehört ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein, vielleicht auch einfach Blasiertheit. Der Wunsch zu brillieren kann nämlich auch helfen, Trägheit zu überwinden und solange an einem Satz oder einer Szene zu arbeiten, bis sie wirklich gut. Perfektionismus hilft auch, aus zusammenhanglosen Szenen einen Roman zu formen. Es liegt in unserer Verantwortung als Autor*innen, unseren Perfektionismus zu kontrollieren und für die einzelnen Arbeitsschritte zu dosieren.