Hohe
Ein erster Roman soll vieles sein: ein Bestseller, ein tiefgründiges Werk, ein mitreißender Thriller, eine romantische Liebesgeschichte … Wir setzen uns hohe Ziele, und stellen oft genug fest, dass wir sie nicht umsetzen konnten. Das hat viele Gründe. Einer ist, dass wir uns nicht klargemacht haben, was es konkret bedeutet, wenn wir ein Buch mit Potenzial zum Bestseller, ein tiefgründiges Werk, einen mitreißenden Thriller oder eine romantische Liebesgeschichte schreiben. Können wir das Buch retten?
Hohe Ziele verlangen Klarheit
Besonders in einem ersten Roman haben wir eine handvoll Ideen, die wir umsetzen wollen. Wenn wir nach dem letzten Satz einigermaßen zufrieden mit dem Manuskript sind, ist uns das gelungen. Jedenfalls im Ansatz. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass der Roman noch lange nicht fertig ist. Damit der Roman eine Chance bekommt, Leser*innen zu finden, müssen wir noch viel Arbeit investieren.
Ideen
Was waren unsere Ideen? Was genau wollten wir beschreiben und warum? Was erwarten wir uns davon, über diese Ideen zu schreiben?
Wenn wir den Roman vorher geplant haben, ist es sinnvoll, erst die Planung zu überdenken und dann mit der Ausführung zu vergleichen. Haben wir den Roman so geplant, das unsere Ideen darin ihren Platz finden konnten? Haben wir den Roman dann so geschrieben, dass die Ideen erkennbar sind?
Wenn die Ideen im Roman erkennbar sind, ist es notwendig, weiter im Manuskript zu forschen.
Leser und Leserinnen
Ein Roman braucht Menschen, die ihn lesen. Große Ziele haben den Nachteil, dass sie Menschen ignorieren. Haben wir an die Menschen gedacht? Es ist gar nicht so selten, dass Autor*innen versuchen, ihren Leser*innen Ideen an den Kopf zu werfen, in der Hoffnung, dass sie etwas bewirken. So fragwürdig das Werfen ist, was sollen die geworfenen Ideen bewirken? Und wie soll sich das auf das Leben der Leser*innen auswirken?
Nehmen wir an, das Ziel war es, die Leser*innen auf die Situation von Kindern, die in ihrer Familie psychischen Missbrauch erfahren, aufmerksam zu machen. Was brauchen die Leser*innen in der Handlung, um die Partei eines Kindes zu ergreifen, auch wenn das Kind nicht die Merkmale eines süßen Kindes hat, auch wenn sie die Position der Eltern nachvollziehen können?
Lange bevor wir über die sprachliche Umsetzung nachdenken können, ist es notwendig, zwischen den Köpfen von Kind, Eltern und Leser*innen zu wechseln und die Wirkung des Handelns von Kind und Eltern auf die Leser*innen zu überdenken.
Sprache
Wenn wir herausgefunden haben, welche Reaktionen wir bei den Leser*innen auslösen wollen, geht es an die Sprache. Wie können wir die Leser*innen in die Handlung ziehen? Sollen die Leser*innen mitleiden und weinen oder Distanz wahren und ihre eigene Umgebung aufmerksamer beobachten? Sollen die Leser*innen sich im Text verlieren und wie aus einem kalten Bad auftauchen oder sollen sie sich jeden Handlungsschritts bewusst sein?
Wortwahl, Grammatik, Erzähltempo hängen von diesen Entscheidungen ab.
Hohe Ziele in einem Roman sind immer eine Herausforderung, besonders aber in einem ersten Roman. Wenn sich angesichts der Mängel des ersten Entwurfs der Enthusiasmus erschöpft hat, kann ein gründliches Hinterfragen und Überarbeiten den Roman retten.