Willkommen zur zweiten der kreativen Schreibübungen in diesem Sommer. Heute geht es um einen Briefe, und zwar den, der seinen Empfänger oder seine Empfängerin nie erreicht hat, weil er nie abgeschickt wurde.
Persönliche Briefe auf Papier sind heutzutage etwas Besonderes, weil es so viel einfacher und schneller geht, eine E-Mail oder eine Chatnachricht zu schreiben. Aber auch früher waren nicht in jedem Haushalt Papier und Tinte vorhanden. Ein handgeschriebener Brief musste und muss immer noch geplant werden.
Nicht jeder Brief wurde tatsächlich niedergeschrieben. So manche beschriebene Seite endete im Papierkorb oder — viel romantischer — im Feuer. Sogar ein kuvertierter und frankierter Umschlag gelangte nicht immer bis zum Briefkasten.
Übung 1 — Die Gedanken kamen nie auf Papier
Im Überschwang der Gefühle wird so manche Nachricht entworfen. Wir wollen schreiben, was wir nicht sagen konnten: aus Mangel an Zeit oder Mut oder Informationen. Doch welche Skrupel halten uns vom Schreiben ab? Oder sind es Ängste? Gar ein Gefühl der Sinnlosigkeit?
Übung 2 — Der Brief wurde Opfer des Nachdenkens
Haben es unsere Worte auf Papier geschafft, lesen wir sie mit den Augen der Zensur. Dürfen wir das sagen? Werden wir richtig verstanden? Können wir überhaupt ausdrücken, was wir sagen wollten? Machen wir uns lächerlich oder verletzlich? Verraten wir unsere Prinzipien oder sind wir unsolidarisch? Drängen wir uns auf? Zählen unsere Worte? Können wir überhaupt etwas mit diesem Schrieb bewirken? Oder wird alles viel schlimmer?
Übung 3 — Der Umschlag fand nie den Weg zum Briefkasten
Ein Umschlag ist ein Schutz vor Schmutz und neugierigen Blicken, aber er transportiert seinen Inhalt nicht zum Briefkasten. Überlegen wir es uns zweimal, besser dreimal? Legen wir das Kuvert auf den Nachttisch und denken noch einmal in Ruhe nach? Denken wir so lange, bis wir den Brief vergessen? Gerät der Umschlag in falsche Hände oder müssen wir ihn bis zum richtigen Zeitpunkt verstecken? Rutscht der Umschlag zwischen Schrank und Wand, ins Futter der Jacke? Beschämen uns unsere Gedanken so sehr, dass wir sie nicht aus der Hand geben wollen?