In der Schule lernen wir, dass wir unsere Texte überarbeiten müssen. Oft besteht das Überarbeiten in der Korrektur von Rechtschreib- und Grammatikfehlern, vielleicht noch mit der Suche nach passenderen (von der Lehrkraft erwarteten?) Wörtern. Von daher ist es keine Überraschung, wenn wir an die Überarbeitung unserer Manuskripte unvorbereitet gehen. Es geht nicht nur um Rechtschreibung, Grammatik und bessere Wörter. Es geht darum, unseren Text abzuklopfen, umzustülpen, auseinanderzureißen und neu zusammenzuschieben. Und es geht um unsere Haltung zum Text und unsere Emotion in jeder Phase des Überarbeitens.
Welche Emotion begleitet mich wann?
Die erste Emotion ist sicherlich Stolz. Ich habe es geschafft, ein Buch zu schreiben! Der Stolz trägt uns weiter, wenn wir sagen können: Ach, ich überarbeite gerade mein Buch. Ein wenig Überheblichkeit mag darin liegen, andererseits haben wir etwas Außergewöhnliches geschafft und geschaffen. Bei diesem letzten Wort setzt dann der Zweifel an, wenn wir die ersten Seiten lesen. Was habe ich da geschrieben? Das ist ja fürchterlich. Ich kann daraus niemals einen lesbaren Text machen. Wir blicken auf die Zahl der Seiten und die Zahl der Zeichen und überschlagen, wie lange es dauern wird, wenn wir das alles durcharbeiten.
Aber es ist auch aufregend, denn es ist das eigene Manuskript. Also beginnen wir mit dem Überarbeiten und schaffen es irgendwann, uns bis zur letzten Seite durchzuackern. Dabei verändert sich die Qualität des Zweifels hin zu Verwirrung: Wie kann ich dieses Problem meiner Protagonistin so lösen, dass andere Leser*innen das wirklich akzeptieren? Und vielleicht schleicht sich jetzt schon eine dumpfe Hoffnungslosigkeit ein: Das macht alles keinen Sinn. Niemand versteht das. Auch ich nicht.
Dummerweise liest sich das Manuskript nach dem ersten Überarbeitungsgang nicht viel besser. Also gibt es noch mehr zu tun.
Es ist absolut nachvollziehbar, wenn eine Autor*in an diesem Punkt das Manuskript gegen die Wand schmeißt, zerreißt oder löscht. Die Erkenntnis, dass auf das Schreiben, das einigermaßen leicht von der Hand ging, eine so qualvolle Arbeitsphase folgt, ist absolut entmutigend. Doch das Manuskript ist schon etwas besser als in seiner ersten Version. Und es hat das Potenzial, noch viel besser zu werden — wenn das Überarbeiten weitergeht.
Wie gehe ich mit meinen Gefühlen beim Überarbeiten um?
Verzweiflung, Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit — sie können beim Überarbeiten auftreten. Es hilft jedoch, wenn wir uns selbst klare Anweisungen geben, was wir in einem Überarbeitungsdurchgang machen wollen und machen müssen. Ich schlage vor, das Manuskript erst einmal ruhen zu lassen und nach ein paar Wochen zunächst nur durchzulesen. Dabei wird alles notiert, was auffällt. Aus den Notizen können Fragen an das Manuskript formuliert werden. Je nachdem, welche Fragen sich ergeben, bekommen einzelne Überarbeitungsdurchgänge unterschiedliche Schwerpunkte.
Das alles sollten wir schriftlich festhalten und gut lesbar an unserem Arbeitsplatz aufbewahren. Ich habe ein Logbuch für die Überarbeitung, und meine Aufträge an mich stehen auf der ersten Seite. Was ich abgearbeitet habe, streiche ich durch. Erst nach dem Durchstreichen wende ich mich der nächsten Aufgabe zu.
Auf diese Weise gibt es viele schwerpunktmäßige Überarbeitungen. Nicht immer muss ich das ganze Manuskript durcharbeiten, mich dafür aber intensiv mit bestimmten Szenen oder Erzählsträngen befassen.
Das Hoch und Tief der Gefühle hält sich dann in Grenzen. Natürlich durchlebe ich Verwirrung und Hoffnungslosigkeit. Das gehört dazu. Doch mit Entschlossenheit und Strategie lassen sie sich überwinden und die Auseinandersetzung mit dem Manuskript gewinnen.