Schreiben ist anders als Autofahren. Im Straßenverkehr ist es überlebenswichtig, dass sich alle Beteiligten an die Regeln halten. Regelbrüche können tödlich enden. Beim Schreiben können Regelverstöße nicht nur befreiend wirken, sondern das Buch verbessern. Nur sollte vorher klar sein, was die Regeln bedeuten.
Warum gibt es (Schreib-)Regeln?
Schreibregeln, Schreib-Tipps, Schreib-Empfehlungen — Wie immer wir sie nennen, sie haben eine Aufgabe: Regeln helfen Schreibenden, eine Geschichte zu planen und so zu Ende zu schreiben, dass Lesende eine Chance haben, die Geschichte zu verstehen. Schreibregeln sind eine Leitplanke. Aber anders als bei einer Leitplanke entlang einer Straße, muss dahinter kein Abgrund liegen. An vielen Straßen gibt es keine Leitplanken, und es kann durchaus Leben retten, in bestimmten Fällen von der Straße auf das Feld abzuweichen. Ansonsten ist die Straße die bessere Wahl.
Ähnlich ist es beim Schreiben. Schreibregeln und Empfehlungen erleichtern das Schreiben oft, sodass nicht sämtliche Zusammenhänge für jeden Text neu erfunden werden müssen. Oft geben Schreibregeln simple Erkenntnisse aus dem richtigen Leben wider: Wenn A geschieht, passiert als Folge B. Wahrscheinlich. Meistens. Aber eben nicht immer.
In diesem Bereich von „Nicht immer“ liegen kreative Möglichkeiten, die wir beim Schreiben ausloten wollen und sollen.
Was können Regelbrüche bewirken?
Wenn wir die Regeln kennen, können wir gegen sie verstoßen. Dazu müssen wir keine Regale mit Schreibratgebern gelesen zu haben. Wir müssen „nur“ viel und weit lesen und das Treiben unserer Mitmenschen aufmerksam verfolgen. Dann müssen wir „nur noch“ lernen, wie wir diese Beobachtungen in einen Text einfließen lassen. Das lernen wir am besten beim Schreiben, Überarbeiten und Weiterschreiben.
Regelverstöße begehen wir, wenn wir die Verantwortung für unseren Text annehmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft zu akzeptieren, dass nicht alle Menschen unseren Text lieben werden, dass Menschen diesen Text aus unvorhersehbaren Gründen mögen oder nicht mögen werden. Wir können die Reaktionen der Lesenden nicht planen. Aber wir können einen Pfad in die Geschichte schreiben, der sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer bestimmten Reaktion führen wird.