Wieken-Verlag Autorenservice Roman,Schreiben,Schreibwerkstatt Das Unerwartete schreiben — Kann ich das lernen?

Das Unerwartete schreiben — Kann ich das lernen?

Auf eine graue Wand ist ein Elefant gemalt. Er steht aufrecht wie ein Mensch und trägt eine rote Jacke mit Goldknöpfen. Aus der Wand ragt ein gebogenes Rohr, das zum Rüssel wird.

Das Unerwartete: Auf eine graue Wand ist ein Elefant gemalt. Er steht aufrecht wie ein Mensch und trägt eine rote Jacke mit Goldknöpfen. Aus der Wand ragt ein gebogenes Rohr, das zum Rüssel wird.

Das Unerwartete in einem Buch oder Film rüttelt uns wach. Es ist das Gegenstück zum Erwarteten, das uns Sicherheit gibt, aber auch ein bisschen langweilig werden kann. Unerwartetes lässt uns aufmerken, staunen und eine Situation oder eine Person mit anderen Augen sehen. Für Lesende ist das ein guter Moment. Aber kann ich lernen, für meine Lesenden solche Momente zu schreiben?

Das Dilemma

Die meisten Genres präsentieren uns etwas, das wir erwarten können. In Liebesromanen treffen sich zwei Charaktere, es gibt Missverständnisse, Zweifel und Tränen, aber am Ende sind die beiden glücklich zusammen bis zum Ende aller Tage. In Krimis geschehen Verbrechen, meistens Morde, und der Weg zur Verhaftung des Täters ist gespickt mit Verdächtigungen, Hinweisen, Lügen, Tränen, noch etwas mehr Blut. Und so weiter.

Wenn wir das Angebot mögen, lesen wir mehr Bücher dieses Genres. Gefällt es uns nicht, wählen wir ein anderes Genre. Immer können wir sicher sein, dass wir finden, was wir kennen und was wir für gut befunden haben. Kleine Abweichungen nehmen wir hin, große Veränderungen machen uns skeptisch.

Innerhalb des Rahmens, den die Konvention des Genres vorgibt, freuen wir uns über das Unerwartete. Wir wollen nicht zu viel davon, aber in kleinen Dosen ist es angenehm.

Das ist die Sicht der Lesenden. Für Schreibende ergibt sich daraus ein Problem. Ich kann nicht nach Regeln arbeiten, wenn ich überraschen möchte. Regeln sind alles andere als unerwartet, sie sind die Basis des Erwartbaren. Wie kann ich etwas trainieren, das keine Regeln haben darf?

Das Unerwartete suchen und finden

Glücklicherweise sind Schreibende kreative Wesen. Wir können nicht üben, das Unerwartete zu schreiben, aber wir können lernen, es in unserem Leben zu finden. Wir können uns öffnen für neue Situationen, die sich im Alltag anbieten. Auf diese Angebote können wir uns einlassen und uns dabei beobachten. Wie geht es uns dabei? Was fühlen wir während der neuen Erfahrung? Wie geht es uns danach?

Oft sind es winzig kleine Veränderungen, mit denen wir uns selbst überraschen können. Vielleicht lesen wir ein Buch aus einem Genre, das wir sonst meiden. Das Buch war ein Geschenk, wir wollen höflich sein, aber wir wollen auch etwas lernen. Auch wenn uns das Buch gar nicht gefällt, können wir uns beim Lesen beobachten und mehr über Leute mit festen Gewohnheiten erfahren. Oder wir gehen in ein neues Restaurant, tanzen zu Musik, vor der wir sonst weglaufen, fahren mit einer anderen Buslinie, besuchen ein Museum, probieren einen Sprachkurs aus, sprechen mit den Nachbarn aus dem Haus gegenüber.

Wichtig ist, wir stehen zu unserer Verwunderung, beobachten uns in der Überraschung, finden Worte für unsere Erfahrungen. Wenn wir lernen, uns in unerwarteten Situationen zu beschreiben, öffnen wir uns für das Unerwartete im Leben unserer Charaktere.

 

 

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