Meine bisherigen Bücher sind alle in Norddeutschland verortet. Dort lebe ich, aber dort stamme ich nicht her. Von daher ist es für mich immer auch ein „Erschreiben“ meiner Umgebung, wenn ich die Schauplätze der Handlungen recherchiere.
In mancher Hinsicht wäre es wahrscheinlich einfacher, die Krimis und Romane an erfundenen Orten spielen zu lassen. Es gäbe mir eine gewisse Freiheit in der Gestaltung der Städte und in der Beschreibung ihrer Einwohner. Aber offen gesagt, reizt mich das weniger. Ich mag reale Hintergründe. Das könnte durchaus ein international bekannter und durch diese Bekanntheit für das Lesepublikum attraktiver Ort sein. Mich stört diese Bekanntheit. Leser halten Ausschau nach bekannten Ansichten. Touristisches Lesen mit Mord ist okay, aber ich lese solche Bücher nicht so gerne. Warum sollte ich etwas schreiben, was ich nur im Notfall lesen würde?
Reizvoll an einem mir vertrauten, anderen jedoch weniger bekanntem realen Ort ist meine Vertrautheit mit den Geheimnissen. Ich sammle im Vorgehen Eindrücke auf. Gelegentlich erzählten mir Einwohner, sie hätten erst durch meine Bücher bestimmte Straßen genauer betrachtet, manche Gebäude jahrelang ignoriert oder sich nie die Mühe gemacht zu überprüfen, was hinter einer hohen Mauer oder einer Brombeerhecke verborgen liegt.
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Solche Reaktionen beweisen mir, dass es selbst an scheinbar überschaubaren Orten an Übersicht fehlt. Wo keine Übersicht existiert, kann das Unerwartete lauern. Traditionell ist das Unerwartete böse. Das bietet sich für das Schreiben an.
Regional verorteten Büchern wird der Wiedererkennungswert zugutegehalten. Das stimmt natürlich, trifft aber auch für London oder New York zu. Von daher sollte ich vielleicht in einen Küstenort ziehen, durch den im Sommer die Touristen ziehen. Die würden dann im Winter meine Bücher lesen. Aber sie würden vom Sommer träumen und erwarten, ihren Sommerurlaub in irgendeiner Gestalt in den Büchern wiederzufinden. Das möchte ich nicht.
Mich reizt das, was in den Einfamilienhaussiedlungen vor sich geht. Diese Siedlungen, die Touristen nur sehen, wenn sie einen kostenlosen Parkplatz suchen. Ich möchte wissen, was hinter den netten Scheibengardinen passiert. Oder in den Außengebäuden der Siedlungshäuser. Ich frage mich, was im Schlick am Boden der Kanäle steckt und finde es bedauerlich, dass heutzutage nicht einmal im Jahr das Wasser abgelassen wird, damit die Anwohner ihren Kanalabschnitt reinigen. Da könnte einiges wiedergefunden werden. Oder so mancher. Immerhin ziehen die Gemeindearbeiter im Frühling mit Harken durch das Wasser. Da finden sie Fahrräder. Vielleicht auch einen städtischen Radtouristen, der im Herbst mit seinem E-Bike spurlos verschwand. Autos landen ja auch manchmal im Kanal. War der Fahrer wirklich betrunken? Und da wir gerade dabei sind, warum schleppen Ihre Nachbarn eigentlich einen aufgerollten Teppich aus dem Haus?