Die Wahrheit hat eine hässliche Seite, und leider betrifft diese Seite oft unsere Beziehungen zu Menschen, denen wir nahe sind. Wenn wir uns entschließen, über das eigene Leben zu schreiben und auch die unangenehmen Erfahrungen schildern, stoßen wir solche Menschen vor den Kopf. Aber genau das ist oft notwendig, damit wir unsere Sicht der Ereignisse öffentlich machen können.
Die unangenehmen Folgen der Offenlegung privater Beziehungen können unterschiedlich ausfallen. Einige Personen aus unserem Leben möchten vielleicht vor Gericht klagen. So eine Auseinandersetzung kann sich über Jahre hinziehen. Andere begnügen sich damit, den Kontakt zu uns abzubrechen. Auch diese Erfahrung schmerzt, selbst wenn die Beziehung bereits stark vergiftet war.
Über die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von Ablehnung müssen wir uns im Klaren sein. Es hilft wenig zu sagen, dass die Betroffenen die Wahrheit ertragen müssen. Wenn wir das erwarten, bereiten wir uns nur eine neue Quelle von Verletzungen. Es hilft auch nichts, sich darauf zu berufen, dass wir selbst gelitten haben. Das klingt selbstgerecht und schützt uns keineswegs vor Vorwürfen und Zweifeln.
Wenn wir uns entschließen, über unsere Vergangenheit und unsere Verletzungen zu schreiben und diese Texte zu veröffentlichen, brauchen wir Unterstützung. Wir sind uns diese Selbstfürsorge schuldig.
Manchmal öffnen unsere veröffentlichten Erinnerungen auch die Tür für eine Wiederannäherung. Anders als in einer verbalen Auseinandersetzung bleibt der Text bestehen. Sogar wenn ein Exemplar des Buches im Zorn verbrannt wurde, das Buch existiert weiter, es kann erneut gekauft, erneut gelesen und erneut (oder erstmals) überdacht werden. Die Möglichkeit zur Wiederannäherung ist nicht immer gegeben. nicht immer gelingt sie. Nicht immer ist sie wünschenswert.
Die Offenlegung unserer Erfahrungen kann auch bei Unbeteiligten Ablehnung hervorrufen. Arbeitskollegen, Nachbarn, Leher an der Schule der Kinder, Mitarbeiter von Behörden haben Zugang zu unseren Texten. Wir müssen damit rechnen, dass sie uns erkennen. Im besten Fall suchen sie ein Gespräch.
Jeder Autor wird zu einer öffentlichen Person. Das gilt besonders, wenn wir über unser Leben im Buch offenlegen. Wenn wir bereit sind, diesen Schritt zu gehen, machen wir uns angreifbar, gleichzeitig eröffnen wir uns die Chance zu Gesprächen.
Während meiner ganzen Kindheit bekam ich von meiner Mutter zu hören: „Was sollen denn die Leute denken.“
Mit der Veröffentlichung meiner Biografie „Werde ich im Winter noch Blumen finden?“ wurde ich endlich geheilt von meinen anerzogenen Ängsten. Mein Adresskalender verlor zwar an Umfang, aber unterm Strich betraf das nur Kontakte mit Menschen, die ausschliesslich an sich interessiert waren.
Darüber hinaus gab es keine Weiterungen. Ich hatte allerdings auch keine bösartigen Behauptungen aufgestellt oder Schuld für die ein oder andere Misere in meinem Leben nur bei anderen gesucht.
So ein Schritt kostet Mut und Kraft. Deine Erfahrung der Heilung zeigt, dass es sich lohnt, ihn zu gehen.