Autoren wissen, dass in einem deutschen Satz das Verb die wichtigste Wortart ist. Die Handlung des Satzes wird durch das Verb beschrieben, und die Position des Verbs ordnet anderen Satzteilen eine bestimmte Bedeutung zu. Wer die Sprache von Journalisten, die für Lesemedien schreiben mit der von Journalisten für Radio und Fernsehen vergleicht, merkt sofort, dass das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Verbs bei den Journalisten für Lesemedien stärker ausgeprägt ist. Wer Menschen zuhört, die Deutsch als Fremdsprache lernen, merkt ebenfalls sofort, dass das Bewusstsein für das Verb eng mit dem Niveau der Sprachbeherrschung zusammenhängt.
Wo kann das Verb im deutschen Satz stehen?
Der Standard: Verb in Position 2
Das Verb in einem deutschen Satz hat mehr Bewegungsfreiheit als in einem englischen Satz, aber weniger Freiheit als beispielsweise im Türkischen.
Die Standardposition ist Position zwei, das bedeutet für einen einfachen Satz die Position hinter der handelnden Person:
Anna schlägt den Hund. → Anna (Position 1: handelnde Person, Subjekt des Satzes) schlägt (Position 2: Verb mit Personalendung) den Hund (Position hinter dem Verb: direktes Objekt des Verbs, Akkusativ).
Die einzelnen Positionen lassen sich ausbauen, so dass Position 2 nicht gleichbedeutend mit dem zweiten Wort im Satz ist:
Das böse Mädchen Anna schlägt den alten Hund. → Das böse Mädchen Anna (Position 1: Artikel, Adjektiv, Nomen, Name – vier Wörter) schlägt (Position 2: Verb, hier: Wort 5 im Satz) den alten Hund.
Die Frage: Verb in Position 1
Wenn das Verb an den Satzanfang wechselt, erwarten deutsche Hörer eine Frage, deren Antwort Ja, Nein oder Doch sein kann:
Schlägt Anna den Hund? – Ja(, sie schlägt den Hund).
Viele Deutschlerner setzen das Verb an den Satzanfang, weil sie die Wichtigkeit des Wortes erkannt haben und meinen, das Wichtige muss vorne stehen. Das Unbehagen, das viele deutsche Muttersprachler bei dem Deutsch von Lernern empfinden, setzt an dieser falschen Verbposition an. Alle anderen Fehler oder zumindest ungewöhnlichen Formulierungen fallen danach viel stärker auf, weil der Hörer jetzt auf Abweichungen achtet.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Verb in Bedingungssätzen an Position 1 wechseln kann:
Schlägt Anna den Hund, zeigt uns das, wie roh ihr Charakter ist.
So ein Satz ist für viele deutsche Muttersprachler im ersten Moment verwirrend, weil sie aufgrund der Verbposition eine Frage erwarten. Glücklicherweise stehen solche Sätze eher in geschriebenen Sätzen, wo sie ein zweites Mal gelesen werden können. Die Texte weisen auch in anderer Hinsicht Besonderheiten auf, die sie einem höheren Sprachniveau zuordnen. Das Wissen um das Sprachniveau hilft Muttersprachlern, die Sätze korrekt zu interpretieren.
Der Befehl: Verb in Position 1
Drückt der Satz einen Befehl oder eine Anweisung aus, wechselt das Verb ebenfalls in Position 1. Die Melodie des Imperativ-Satzes hilft, den Befehl von der Frage zu unterscheiden:
Schlag den Hund! – Schlagt den Hund!
In der du- und ihr-Form des Imperativs zeigt auch das fehlende Personalpronomen, dass es sich nicht um eine Frage handelt. Allerdings ist der Hörer in der Sie-Form wieder auf die Satzmelodie und den Kontext angewiesen, um den Befehl von der Frage zu unterscheiden:
Schlagen Sie den Hund! – Schlagen Sie den Hund?
Das geteilte Verb: die Satzklammer
Eine für Hörer, Leser und Deutschlerner anstrengende Eigenschaft der deutschen Sprache ist das geteilte Verb. In vielen Zeitformen (Perfekt, Plusquamperfekt, Futur …), im Passiv, im Konjunktiv und bei der Verwendung von Modalverben (können, wollen, dürfen, müssen, sollen, mögen) und dem Verb lassen hat das Verb mindestens zwei Teile:
Anna hat den Hund geschlagen. (Perfekt)
Anna will den Hund schlagen. (Modalverb)
Anna würde den Hund schlagen. (Konjunktiv)
Anna lässt den Hund schlagen. (lassen)
Der Hund wird von Anna geschlagen. (Passiv)
Anna hat den Hund schlagen wollen. (Perfekt mit Modalverb)
In diesen Sätzen steht ein Verb mit der Personalendung an Position 2 (Wenn es nicht an Position 1 wandert). Dies ist ein Hilfsverb, ein Modalverb oder lassen. Das eigentliche Verb des Satzes steht am Ende. Das Verb in Position 2 und das Verb am Satzende nehmen die Satzteile, auf die sich das Verb bezieht, in eine Klammer. Deutschlerner kennen dieses Phänomen unter dem Begriff Satzklammer. Natürlich kann zwischen das Verb in Position 2 und dem Verb am Satzende auch noch ein Nebensatz schlüpfen.
Nebensätze: Verb am Ende
Nebensätze haben ihr Verb am Ende:
Ich sehe, dass Anna den Hund schlägt.
Damit der Spaß (oder der Stress) zunimmt, wandern Hilfsverben, Modalverben und lassen an das Ende des Nebensatzes:
Ich habe gesehen, dass Anna den Hund geschlagen hat.
Ich weiß, dass Anna den Hund schlagen will.
Ich glaube, dass Anna den Hund schlagen würde.
Ich nehme an, dass Anna den Hund schlagen lässt.
Ich beobachte, wie der Hund von Anna geschlagen wird.
Ich nehme an, dass Anna den Hund hat schlagen wollen.
Das Verb wandert also durch den deutschen Satz. Damit verlangt es Aufmerksamkeit vom Hörer und vom Leser, aber auch große Sorgfalt vom Sprecher und Autor. Autoren, die sich mit den Launen des Verbs erst einmal vertraut gemacht haben, werden diese Wortart effektiv einsetzen, um ihren Texten eine besondere Wirkung zu verleihen.