Es gibt Schreibregeln, die oft zitiert werden, von denen aber niemand sagen kann, woher sie kommen. Das Verbot, über das Wetter zu schreiben, gehört dazu. Einleuchtend ist die Regel nicht. Menschen reden gern über das Wetter. Es gehört zu den Themen, die Kommunikation erleichtern und manchmal erst ermöglichen. Zudem hat das Wetter starken Einfluss auf uns Menschen. Das Tier in uns fürchtet sich vor bestimmten Wetter-Phänomenen, der Hypochonder in uns reagiert auf körperlich und seelisch auf Luftdruck und Lichtstärke.
Schreibregeln sollten unsere Aufmerksamkeit lenken
Wenn wir beim Schreiben an Schreibregeln denken, lenken sie unsere Aufmerksamkeit auf potentiell problematische Aspekte unseres Texts. Von daher ist es sinnvoll zu überlegen, ob wir einen Text mit einem Wetterphänomen beginnen sollten. Ebenso sinnvoll ist es zu überlegen, wie wir die Leser in die Handlung ziehen können. Das gelingt uns durch Emotionen. Wenn das Wetter diesen Emotionen den Weg bereitet oder passende Stimmungen in der Umgebung der Charaktere auslöst, sollten wir nicht aufgrund einer anonymen Regel auf das Wetter verzichten.
Das geeignete Instrument wählen
Eine andere Regel, der wir höhere Priorität einräumen sollten, ist die, den Leser nicht zu langweilen. Langeweile zu schaffen ist zwar weit weniger einfach, als Kritiker uns glauben machen wollen, doch eine Liste von Fakten, ohne erkennbaren Bezug zur Handlung, ohne eigenes Interesse und ohne sprachlichen Reiz präsentiert, hat diesen Effekt. Mit etwas Geschick kann eine Verfolgungsjagd langweilen. Das Wetter dagegen bietet Möglichkeiten, Leser an den Ort der Handlung zu versetzen und die schwüle Hitze eines tropischen Abends unter dem Wollpullover zu spüren, in den gekuschelt er das neue Buch aufgeschlagen hat.
In dem Augenblick, in dem der Leser diese Hitze spürt oder den Geruch von Regen auf heißem Asphalt in der Nase hat oder die metallene Klarheit eines Wintermorgens atmet, ist er in der Handlung gefangen. Das Wetter zu Beginn eines Buchs muss erlebbar sein, so wie alles andere erlebbar sein sollte. Dann darf auch am Anfang eines Buchs das Wetter beschrieben werden.