Grammatik hat einen schlechten Ruf. Langweilig und schwierig, unnötig und lähmend sei sie, behaupten einige Autor*innen. Dabei ist Grammatik die Muskulatur der Sprache. Gut trainierte Muskulatur stärkt den Körper, steigert das Wohlbefinden und lässt uns attraktiver aussehen. Das alles kann Grammatik für einen Text leisten. Bewusst eingesetzt, können sich Grammatik und Kreativität ergänzen.
Grammatik und Kreativität – Wie können sie sich ergänzen?
Grammatik und Kreativität stellen keinen Gegensatz wie Kopf und Bauch dar. Als Muttersprachler*innen sind wir in der Lage, die Regeln der Sprache unbewusst einzusetzen, um die sprachlichen Effekte zu erzielen, die unsere Kreativität sehen will. Dabei geht es um Rhythmus und Tempo, Sparsamkeit und Opulenz.
Grammatik und Kreativität – Was zusammengehört …
Zu unserem unbewussten Wissen über Grammatik gehört die Fähigkeit zu entscheiden, welche Wörter in einem Satz zusammengehören. Wenn wir Anne ging mit Otto in den Park lesen, wissen wir, dass mit Otto einerseits und in den Park andererseits zusammengehören. Vielleicht gefällt uns mit Otto nicht, weil wir den Namen Otto schon vorher verwendet haben, ehe Otto zur Begleitperson für den Spaziergang wurde. Mit ihm ersetzt mit Otto, wenn wir das wünschen.
Aber vielleicht ist uns in den Park zu langweilig. In den Stadtpark, in den Fürstenpark, in die Parkanlagen hinter dem Stadtschloss sind Alternativen, wobei hinter dem Stadtschloss uns eine neue Wortgruppe gibt, die den Park und seine Ersatzwörter ergänzt. Weglassen können wir die Information über das Ziel des Spaziergangs nicht. Anne ging mit Otto hat eine ganz andere Bedeutung, dagegen ändert sich der Satz durch das Weglassen von mit Otto weniger. Das zeigt uns, dass das Verb gehen mit der Information über das Ziel des Spaziergangs eng verbunden ist.
Grammatik und Kreativität – Das Spielen mit den Wörtern
Wenn ich weiß, welche Wörter in einem Satz zusammengehören und wie eng ihre Verbindung ist, kann ich anfangen zu spielen. Das erinnert an Übungen für die fünfte Klasse. Aber solche Übungen führen wir immer wieder durch, wenn wir einen Satz umstellen, ergänzen oder zusammenstreichen, bis er zu seinen Nachbarn passt und uns zudem gefällt. Der Unterschied zu den Fünftklässler*innen ist, dass sie bewusst Regeln anwenden, wenn sie ihre Übung absolvieren, während wir auf unbewusstes Wissen zurückgreifen. Uns geht es um den Klang des Satzes, um Andeutungen, um Stimmungen.
- Anne ging mit Otto abends in den Park.
- Anne ging mit Otto in den vernachlässigten Park am alten Kanal.
- Anne ging in den windgepeitschten Park, wo sie Otto treffen sollte.
- Anne folgte mit Otto dem Unbekannten in den Park.
- In der Hoffnung auf eine Information über das Halsband folgte Anne Otto in den Park hinter der Ruine des Herrenhauses.