Was ist am Anfang des Schreibens, vielleicht sogar vor dem Schreiben als die wichtigste Voraussetzung? Vielleicht sagen Sie, die Liebe zu Büchern. Ich sage, noch davor kommt die Wörter-Liebe, die Liebe zu den Wörtern, aus denen sich die Bücher zusammensetzen.
Wörter-Liebe und Bücher-Liebe – Was unterscheidet die beiden?
Die Liebe zu Büchern ist die Liebe zu einer Geschichte, in die man sich versenken kann. In der Geschichte geht es um Handlung und um Charaktere. Es geht um Erinnerungen und Träume, um Ereignisse, die quälen und Orte, von denen man fliehen möchte oder zu denen es uns verzweifelt hinzieht.
Die Liebe zu Büchern ist auch die Liebe zu einem physischen Objekt. Das kann das schwere gedruckte Buch in meiner Hand sein, mit seinem Duft nach altem Papier und dem gelblichen Schimmer des verblassten Schutzumschlags. Das kann die glatte Oberfläche des E-Readers oder eines Smartphones sein, die beide leicht und schmeichelnd zwischen den Fingern liegen. Schlägt man das Buch auf, schaltet man den E-Reader ein oder öffnet man die Lese-App, erscheint die Geschichte in Buchstaben auf ihrem Hintergrund. Sie entfaltet sich Seite um Seite und entwickelt dabei einen Sog, in den wir uns ziehen lassen, um unseren Alltag zu vergessen.
Die Wörter-Liebe ist viel schlichter und fragmentierter. Sie ist die Faszination am Klang einzelner Worte, der zusammen mit dem Klang anderer Wörter eine Stimmung erzeugt. Sie ist das Staunen über die verschiedenen Bedeutungen eines einzelnen Worts oder die unzähligen Möglichkeiten, ein und denselben Gegenstand zu beschreiben.
Wörter-Liebe – Woher kommt sie und wie verstärkt man sie?
Wörter-Liebe beginnt wie die Liebe zu einem Menschen mit einem Zufall. Wir hören oder lesen ein einzelnes Wort. Dieses Wort will uns nicht mehr verlassen. Es beschäftigt uns. Wir wollen es begreifen, wollen es benutzen, sprechen, schreiben, hören. Wir verfallen dem Wort. Doch es enttäuscht uns. Wir können dieses Wort nicht so verwenden, wie wir es wollen. Vielleicht liegt es an dem Wort, vielleicht an uns und unseren noch unausgereiften Fähigkeiten. Doch schon bleiben unsere Blicke am nächsten Wort hängen. Es klingt in unserem Kopf, es blinkt vor unseren Augen. Auch dieses Wort wollen wir begreifen. Vielleicht ist es geduldiger mit uns. Vielleicht steht in der nächsten Zeile aber bereits ein anderes Wort …
Viele Menschen, auch wenn sie nie eine Zeile für Geld schreiben, haben ein Lieblingswort. So wie eine Lieblingsfarbe gehört es zu unserer Existenz, doch ein Lieblingswort bringt wie eine Lieblingsfarbe keinerlei Vorteile (und auch keine Nachteile). Ein Lieblingswort dominiert uns nicht. Seine einzige Schwäche ist, dass es uns mit seiner Wortfamilie bekannt machen möchte. Die treffen wir im Gespräch mit neuen Bekannten, in den Schlagertexten unserer Eltern, in der Werbung vor dem Abendfilm, im neuen Roman unserer Freundin. Verliebt man sich in ein Wort, bringt es seine Freunde mit, und schwach wie wir sind, entdecken wir sofort andere bezaubernde Wörter, die wir in unserem Herzen sammeln müssen.
Irgendwann findet sich jedes dieser Worte in einem unserer Bücher wieder.