Leser wollen denken

wollen denken

Leserinnen und Leser möchten ein Buch, seine Handlung und Charaktere selbst entdecken. Sie wollen denken, eigenständig. Für den Lesegenuss ist dieses eigenständige Entdecken wichtig, auch wenn es ein wenig Mehrarbeit beim Schreiben bedeutet.

Leserinnen und Leser wollen denken – Wie verhindern wir das?

Ich will nicht behaupten, das es Autor*innen gibt, die ihre Leser*innen aktiv vom Denken abhalten wollen. Aber es gibt für alle Schreibenden Tage, an denen das Schreiben nicht gut von der Hand geht, an denen Termine drängen oder ein Mensch aus dem Haushalt im Hintergrund um Aufmerksamkeit quengelt . An solchen Tagen neigen wir zu Abkürzungen, die uns in den Bereich von tell statt show bringen.

Dabei lassen wir die Leser*innen zwar in den Kopf eines Charakters blicken, stellen aber zugleich klar, welche Abläufe dort zu beobachten sind. Dabei verwenden wir Wörter, die gedankliche Abläufe, Überlegungen, Hoffnungen u. ä. beschreiben: denken, mutmaßen, hoffen, vermuten, glauben, bezweifeln

Was machen diese Wörter?

Den oben aufgeführten Wörtern ist gemeinsam, dass sie den Leser*innen eine eindeutige Information über die Art und die Tendenz eines Gedankens geben. In einem Satz wie Anton bezweifelte, dass Ina ihn heiraten wollte ist alles zusammengefasst: Antons Wunsch zu heiraten, sein Zweifel an ihrer Liebe. Andererseits bietet der Satz in seiner Eindeutigkeit keinen Raum für eine Interpretation durch die Leser*innen. Sie müssen sich darauf verlassen, dass Anton so zweifelt und Ina so nicht will. Wenn Anton sich täuscht, was sich ja durchaus noch erweisen kann, sind auch die Leser*innen getäuscht.

Wir können den Leser*innen auch eine Situation anbieten, in der sie miterleben, wie sich Ina zu Anton verhält. Dann können sie selbst entscheiden, wie Antons Chancen stehen.

„Warum sollten wir jetzt schon über einen Termin reden, Anton?“ Ina rührte noch mehr Zucker in ihren Kaffee. Anton versuchte, ihren Blick aufzufangen, doch sie konzentrierte sich auf den kreisenden Löffel in ihrer Tasse.

Wenn die Leser*innen Inas Verhalten anders deuten als Anton, überprüfen sie beim weiteren Lesen jede Szene auf die Wahrheit ihrer oder Antons Einschätzung. Wenn sie ihm zustimmen, entscheiden sie, wie er sich verhalten sollte, und überprüfen sein weiteres Verhalten darauf, ob er angemessen verhält. Vielleicht wollen sie ihn schütteln und schreien, Bist du blind? Auf jeden Fall sind sie emotional an der Entwicklung der Beziehung interessiert.

Aus einem Satz werden dann zwei bis sieben, was natürlich Mehrarbeit bedeutet. Der gewonnene Genuss bei Lesen, und sicherlich auch beim Schreiben, sollte das jedoch wert sein.

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