Es kursieren viele Vorstellungen, was im Lektorat passiert. Eine ist, dass Lektor*innen Texte reparieren. Ich meine, dass sich hinter dieser Vorstellung ein Wunsch verbirgt, und ein Missverständnis über das, was ein Lektorat leisten kann und was Arbeit der Autor*innen ist. Was steckt hinter dem Missverständnis, dass Lektor*innen Texte reparieren?
Was kann ein Lektorat leisten?
Je nachdem in welcher Phase ein Manuskript ins Lektorat kommt, geht es um die Analyse der Struktur und der Umsetzung von Ideen, die Überprüfung von Fakten, die Korrektur von Fehlern in Grammatik und Rechtschreibung. Fehler in Grammatik und Orthografie können einen Text zwar erheblich stören, doch die wenigsten Autor*innen sehen darin das Hauptproblem ihres Texts. Wenn sie erwarten, dass ihr Text repariert wird, befürchten sie grundsätzliche Probleme im Aufbau und in der Umsetzung ihrer Ideen. Oder sie haben ein vages Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Sie geben ihren Text in das Lektorat, damit er sich auf magische Weise verbessert. Diese Hoffnung beruht auf einem Missverständnis über die Aufgabenverteilung.
Ein Lektorat kann jedoch Hinweise auf die Ursachen für das Gefühl, dass im Text etwas nicht stimmt, geben. Es kann herausarbeiten, was die Probleme sind und es kann aufweisen, was einen Text besser lesbar macht. Der Rest der Arbeit liegt bei einer anderen Person.
Kann man Texte reparieren?
Ja, man kann Texte reparieren. Vielleicht nicht jeden Text, aber viele. Wichtig ist zu verstehen, dass der Text sich bei einer Reparatur verändern wird. Es kann sein, dass bei der Reparatur andere Ideen im Vordergrund stehen, dass Ort, Zeit, Protagonisten, Genre sich ändern. Schwerpunkte können sich verschieben. Neue Ideen können in den Vordergrund treten, andere spielen keine Rolle mehr.
Der reparierte Text ist ein überarbeiteter Text. Er hat im Kern noch Ähnlichkeit zum Ausgangstext, aber er liest sich auf jeder Ebene anders.
Wer ist für das Reparieren zuständig?
Die Arbeit der Reparatur müssen die Autor*innen übernehmen. Sie tragen die Verantwortung für ihren Text. Sie müssen sich öffnen für Anregungen aus dem Lektorat, aber sie sind nicht gezwungen, sie zu übernehmen. Allerdings steht es ihnen offen, über diese Anregungen hinauszudenken und hinauszuschreiben. Die Reparatur eines Texts ist ein Entwicklungsprozess für Autor*in und Text. Beide ändern sich, beide gewinnen durch diese Arbeit.