In unser Schreiben fließt immer etwas von uns und unseren eigenen Erfahrungen ein. Manchmal bemerken wir erst beim Lesen, wie persönlich das Geschriebene ist. Aber die Frage, ob es sich bei einem Text um kreatives Schreiben oder Therapie handelt, sollten sich die Leser*innen nicht stellen müssen. Und damit sind wir bei dem wichtigsten Unterschied zwischen den beiden Formen des Schreibens.
Schreiben oder Therapie? — Für wen ist der Text?
Schreiben kann beruhigen und Gedanken klären, kann aufgewühlte Emotionen sichtbar und vielleicht verständlich machen. Dieses Schreiben ist tatsächlich nur für die Augen der schreibenden Person relevant. Es fließt direkt aus ihren Erfahrungen und Schmerzen, oder ihrem Glück.
Kreatives Schreiben ist für die Augen anderer Menschen bestimmt. Natürlich kann aus einem hochpersönlichen, therapeutischen Text ein Text für andere Menschen werden. Doch um für diese fremden Leser*innen zu passen, muss der Text zahlreiche Änderungen erfahren, die beim Schreiben eines kreativen Texts bereits berücksichtigt sind.
Fremde Leser*innen wollen nicht lesen, wie ein erzählendes Ich eine Abfolge haarsträubender oder einfach nur herzzerreißender Ereignisse abarbeitet. Sie wollen einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen sehen, eine nachvollziehbare Struktur, die es im echten Leben leider meist nicht gibt. Für kreatives Schreiben müssen Autor*innen eine künstliche Ordnung herstellen und damit ihren Text objektiver schreiben. Auch ihre Sprache müssen sie den Leser*innen anpassen und, um verstanden zu werden, Kompromisse bei der Spontanität machen und Schreib- und Grammatikregeln einhalten.
Was sind die anderen Unterschiede?
Neben der Rücksicht auf die potenziellen Leser*innen durch das Einhalten einer Struktur und das Verwenden von sprachlichen Regeln ist ein wichtiger Unterschied zwischen kreativem Schreiben und Therapie die Herangehensweise. Therapeutisches Schreiben geschieht oft aus einem Impuls heraus. Fehlt dieser Impuls, wird nicht geschrieben. Selbst ein insgesamt zusammenhängender Text entsteht mit unterschiedlich langen Unterbrechungen.
Kreatives Schreiben für ein potenzielles Publikum vollzieht sich nach einer Ordnung. Mit dem Ziel, einen zusammenhängenden Text zu erschaffen, planen Autor*innen Schreibzeit in ihren Alltag ein. Sie setzen sich Ziele und Termine, sie recherchieren und sammeln um ihren Text ein zusätzliches Wissen an, das oft, aber nicht immer in den Text einfließt. Die Arbeit an einem kreativen Text ist bewusst und daher geprägt von Entscheidungen der Autor*innen.
Selbstverständlich kann ein ursprünglich zur Selbsttherapie geschriebener Text in einen kreativen Text umgewandelt werden. Dabei führen die Autor*innen so viele Änderungen durch, dass der Ausgangstext und das Endprodukt vollkommen verschieden sind.