Ganz hinten im Schrank, in einem verstaubten Ordner im Regal oder auf der Festplatte eines längst ausrangierten Computers lagern die frühen Schreibversuche.
Es gibt viele Gründe, weshalb sie dort endeten.
- Wir wollten schreiben, wussten aber nicht wie.
- Das Thema war so persönlich, so peinlich, dass wir uns vor unserem eigenen Text schämten.
- Die Inspiration war riesengroß, allein die Worte fehlten.
- Die Worte waren das Beste, was der Thesaurus hergab, es fehlte nur ein Inhalt.
- Das richtige Leben war wichtiger als das Schreiben.
- Die Texte wurden abgelehnt oder zu Tode kritisiert.
Wir lernen früh, dass wir unsere beste Leistung noch vor uns haben, dass alles, was wir jetzt schaffen, nur ein Schritt auf dem Weg zur Perfektion ist. Wir arbeiten daran, immer besser zu werden.
Dieser Blick nach vorne spornt uns an. Das ist wichtig, denn nur so können wir uns weiterentwickeln.
Doch der Blick nach vorne kann uns blind machen für unsere Leistungen jetzt. Vielleicht droht die Gefahr der Nachlässigkeit. Wenn wir immer auf das perfekte zukünftige Werk blicken, fehlt in der Gegenwart eventuell die Ruhe für das Detail, das auch jetzt schon Perfektion schaffen könnte. Damit stünden wir unserer Entwicklung selbst im Weg.
Was aber ist mit den vergessenen Texten? Es kursieren zahlreiche Geschichten von Autoren, die ihre frühen Texte vernichteten, verbrannten, löschten, weil sie in ihnen wertloses Wortgeklingel erkannt hatten.
Bei den meisten dieser Texte dürfte es tatsächlich so sein. Wer an Werksammlungen bekannter Autoren denkt, weiß dass da gelegentlich Jugendwerke aufgenommen sind, welche aus Zufall dem Ofenfeuer entkamen. Oft fallen diese frühen Texte tatsächlich sehr gegen die späteren Texte ab. Manchmal findet sich auch eine frühe Version eines späteren Textes. Vielleicht empfindet man in der Urfassung eine Lebendigkeit, die der raffinierten Version des gereiften Autors fehlt.
Was haben Urfaust und Faust I mit den frühen Werken von Erika Mustermann gemein?
Erika Mustermann würde beim Lesen ihrer ersten Gehversuche als Autorin vielleicht auf Texte stoßen, aus denen sie Anregungen ziehen könnte. Vielleicht würde sie sich erneut mit dem Stoff auseinandersetzen. Vielleicht würde sie „nur“ erkennen, dass sie dazu gelernt hat und auf dem Weg zum perfekten Text ein schönes Stück weitergekommen ist.
Wie gehen Sie mit Ihren alten Texten um? Haben Sie Ihre Jugendwerke vernichtet oder archivieren Sie sie? Lassen Sie die Vergangenheit ruhen oder erlaubt das die Vehemenz der alten Ideen noch nicht?