In meinen Christa Hemmen-Büchern tauchen regelmäßig seltsame Gestalten auf: klein, kahlgeschoren und extrem bescheiden. Es sind die Muh, eine Gemeinschaft aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens.
Für das erste Christa Hemmen-Buch „Im stillen Tal“ suchte ich eine Gruppe Menschen, die durch ihre bloße Existenz die Aggressionen ihrer Umgebung weckten. Die Muh sahen seltsam aus in ihrer hoffnungslos altmodischen Kleidung und mit ihren geschorenen Köpfen. Zu ihren kurzen Vornamen kam die Angewohnheit, sich von den Nachbarn fernzuhalten und nichts über ihr Leben nach außen dringen zu lassen. Die Folgen waren tödlich.
Leser fragen immer wieder, ob es die Muh gibt. Ich kann jeden beruhigen. Es gibt sie nicht. Aber es könnte sie geben. Ihre Voraussetzungen dafür sind ganz gut.
Zunächst irritiert der Name. Der entstand in Anlehnung an die Mun-Sekte, die heute nicht mehr so bekannt ist wie zu meiner Schulzeit. Allerdings steht Muh für minder und heimatlos, denn so erlebten sich die ersten Muh.
Die Muh gründeten sich in Neutral-Moresnet. Das war ein kleines Areal im heutigen Belgien. Bei der Neuaufteilung Europas nach dem endgültigen Sieg über Napoleon konnte man sich 1806 nicht einigen, ob dieses Stückchen Land zu Preußen oder zu Belgien fallen sollte. Es war ein begehrtes Stück Land, denn seit Jahrhunderten wurde dort Galmei abgebaut. Man entschied sich für eine gemeinsame Verwaltung durch Preußen und Belgien. So entstand Neutral-Moresnet. Es existierte bis 1919, als es zu Belgien fiel.
Das Besondere an Neutral-Moresnet war, dass die männlichen Bewohner nicht zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Das zog zahlreiche junge Leute an, die sich zudem Arbeit im Galmeiabbau versprachen. Doch nur, wer in Neutral-Moresnet gebürtig war, erhielt das Privileg, nicht dienen zu müssen. Die übrigen Männer wurden in ihre Herkunftsländer verbracht und als fahnenflüchtig bestraft.
In meiner Vorstellung entstanden die Muh als eine Art Hilfsorganisation für betroffene Männer und ihre Angehörigen. Die Muh nahmen die Verlobten und Ehefrauen auf, beherbergten fahnenflüchtig Gesuchte und kümmerten sich um deren Kinder. Sie durften nicht auffallen, also blieben sie bescheiden. Im offensichtlich Verborgenen verstießen sie gegen gegen das Gesetz, um Menschen zu helfen. Sie warben nicht für sich, sie handelten.
Die Muh in „Sandras Schatten“ leben bereits uner neuer Führung. Sie müssen niemanden mehr verstecken, auch nicht mehr sich selbst. Dafür versuchen sie, durch ihr bescheidenes Helfen, die Welt zu verbessern. Für Christa Hemmen, die mit den Muh befreundet ist, ist das oft eine Provokation.
Gibt es Lebenentwürfe, die Sie provozieren und gleichzeitig faszinieren?