Grammatik ist für viele Schüler ein Graus, nur Mathematik gilt als schlimmer. Dabei handelt es sich doch lediglich um eine Bewusstmachung dessen, was wir tagtäglich in der Kommunikation verwenden. Manchmal scheint es, als gebe es nur einen geringen Unterschied zwischen der Bewusstmachung grammatischer Strukturen und dem Erinnern verdrängter Traumata. Wenn man wie ich viel schreibt und mit Menschen umgeht, die ebenfalls viel schreiben, gerät die Struktur in den Hintergrund. Die Suche nach dem besten Wort, die ästhetisch und inhaltlich beste Formulierung greift auf intuitives Wissen zurück. Was wäre – ist man versucht zu fragen – müsste man all diese Texte in einer neuen Sprache verfassen, die man weder intuitiv noch der Struktur nach beherrscht?
Seit einigen Wochen leite ich zusammen mit einer Kollegin einen Deutschkurs, der Migranten auf die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit vorbereitet. Neben Deutschunterricht erhalten die Teilnehmer Bewerbungstraining und EDV-Unterricht, absolvieren ein Praktikum und legen die B2-Prüfung nach dem europäischen Referenzrahmen ab. Was die Niveaustufen bedeuten, können Sie auf der Seite des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens nachlesen.
Der deutsche Satz, das unbekannte Wesen
Nachdem die Projektleitung den Kurs und seine Teilnehmer in den höchsten Tönen gelobt hatte, ging ich mit der Erwartung in den Kurs, dass ich das Niveau der Übungen recht anspruchsvoll wählen sollte. Meine Erfahrung mit Teilnehmern hätte mich warnen sollen, doch der Optimismus der Projektleiterin war so mitreißend.
Schon bei der Vorstellungsrunde zu Beginn der ersten Sitzung relativierten sich meine Erwartungen. Ich wurde wieder einmal auf die Erkenntnis gestoßen, dass Teilnehmer wie Schüler in der Schule auf eine Prüfung hin lernen. Anschließend verschwindet das Gelernte im tiefsten Unterbewusstsein oder geht verloren. So stellte sich mir – und damit zwangsläufig meinen Teilnehmern – die Frage nach dem Verb im deutschen Satz.
Der deutsche Satz ist erstaunlich flexibel. Lösen wir uns als Muttersprachler einmal von eingepaukten Regeln, können wir eine Vielzahl Varianten eines Satzes bilden. Wir erkennen sogar, welche Varianten grenzwertig sind und welche als falsch gelten müssen. Das größte Problem dürfte auch für Muttersprachler die Stellung des Verbs sein. Manche Fehler in Manuskripten erinnern an Fehler von Lernern. Wohlgemerkt – die Fehler sehen an der Oberfläche gleich aus. Die zugrundeliegende Ursache ist verschieden.
Das Verb kann einen Satz retten oder ruinieren
Wo steht denn das Verb? Wer Deutsch lernt, sagt siegesgewiss an zweiter Stelle. Fügt man die Wörter in sinnvolle Gruppen zusammen, steht das konjugierte Verb im Hauptsatz an zweiter Stelle:
Hans isst Kuchen.
Hans, seine Mutter und die Tante Anna mit allen drei Kindern essen Kuchen.
Der zweite Satz bereitet aus verschiedenen Gründen Kopfschmerzen, sein Verb steht jedoch da, wo es hingehört, und hat die richtige Endung. Aber das Verb hat einige unangenehme Angewohnheiten. Wenn wir einen Blick auf das werfen, was wir normalerweise lesen und schreiben, stellen wir fest, dass das Verb den Satz umklammern kann. Manche Teilnehmer erinnern sich noch nach der B1-Prüfung an die Satzklammer. Sie ist so verbreitet, dass sie eigentlich den Normalfall darstellt.
Hans darf Kuchen essen. – Modalverb
Hans hat Kuchen gegessen. – Perfekt
Hans hatte Kuchen gegessen. – Plusquamperfekt
Hans wird Kuchen essen. – Futur I
Hans wird Kuchen gegessen haben. – Futur II
…
Das konjugierte Verb steht im Hauptsatz an zweiter Stelle, während seine übrigen Bestandteile an das Ende des Satzes wandern. Dort steht das konjugierte Verb im Nebensatz:
Ich habe gesehen, dass Hans Kuchen isst.
Ich habe gehört, dass Hans Kuchen essen darf.
In der Satzfrage steht das Verb an erster Stelle, in der Wortfrage wie gehabt an zweiter:
Isst Hans Kuchen?
Was isst Hans?
Alleine durch die falsche Verbposition klingt ein einfacher Satz unangenehm im Ohr des Muttersprachlers. Er bleibt aber meistens verständlich. Ein komplexer Satz mit vielen Satzteilen scheitert jedoch kläglich und wird oft völlig unverständlich.
Wenn Sie sich den Aufbau deutscher Sätze in Erinnerung rufen möchten, können Sie das mit der Übersicht von Anleitung-Deutsch-lernen oder mit den Erklärungen von Lingolía.
Sehr interessant, super dargestellt, liebe Martina:). LG Petra
Danke, liebe Petra. So ein deutscher Satz kann ganz schön haarig werden 😉 , LG Martina