Bücher formen unsere Welt. Das gelingt ihnen besonders gut, weil sie den Leser nicht mit vorgefertigten Bildern versorgen, sondern in ihm Bilder entstehen lassen. Es sind die Bilder des Lesers, die er vor sich sieht, es ist seine kreative Leistung. Bücher regen Leser dazu an, sich ein Bild über die Welt zu machen. Und nach dem Lesen? Das Bild verschwindet nicht. Es bleibt und prägt weiterhin mehr oder weniger auffällig die Wahrnehmung der Welt durch den Leser. Eine Bürde für Autoren, oder nicht?
Es ist ja nicht so, dass wir uns hinsetzen und Leser beeinflussen wollen. (Solche Autoren gibt es auch, doch Leser sind meistens so schlau, diese Absicht zu erkennen und entsprechend mit dem Text umzugehen. ) Aber mit der Wahl unserer Charaktere nehmen wir trotzdem Einfluss auf das innere Bild beim Lesen.
Damit liegt eine immense Verantwortung auf unseren Schultern.
Am leichtesten sehen wir die Wirkung von Charakteren bei Kindern. Wenn Kinder von Figuren aus Büchern oder Filmen fasziniert sind, spielen sie die Geschichte nach, erweitern die Geschichte, bestehen darauf, sich zu kleiden, wie die Charaktere, essen deren Lieblingsessen und benutzen deren Worte. Kinder erheben ihre Helden schnell zu Vorbildern. Möchte die Protagonistin morgens in aller Frühe Kröten über die Straße tragen, schütteln sich die jungen Leser kurz, um die Idee im nächsten Atemzug zu bejubeln. So entsteht Liebe zur Natur, Liebe zum Abenteuer, Liebe zu Tieren. Versteht die Protagonistin jedoch nicht, wieso das Kind aus der schlampigen Öko-Siedlung morgens die Kröten über die Straße tragen hilft, schütteln sich die Leser und finden Kröten iiiih und Kröten retten doof und das Kind aus der schlampigen Öko-Siedlung auch doof. Stereotype und Vorurteile, denen Kinder auch anderswo begegnen, werden so gefestigt. Schuld sind nicht nur die Eltern, nicht nur die Autoren von Kinderbüchern. Aber sie sind es unter anderem.
Bei Erwachsenen verbirgt sich die Wirkung hinter Weltwissen, klugen Reden und Trendbewusstsein. Wer liest, dass Frauen auf Milliardäre stehen, fühlt sich mit einem Einkommen von 500. 000 Euro im Jahr abgehängt und sucht Trost in den Büchern, die erzählen, dass ein großes Auto und ein bisschen Gewalt den gleichen Effekt haben wie ein Schweizer Nummernkonto.
Natürlich ist es nicht ausschließlich die Verantwortung von Autoren, wenn Männer und Frauen danach streben, alte Stereotype neu zu beleben. Aber unter anderem ist es auch ihre Verantwortung. Autoren haben das Recht, die Welt auf den Kopf zu stellen und neue Wege zu gehen. Diese Wege sollten sie ihren Lesern ebenso anbieten wie mit Lackspray aufgepeppte Ideen aus den 1960er Jahren.