Eine Kuss-Szene ist eine wichtige Szene in jedem Buch, und doch kommen manche Bücher ohne sie aus. Ähnlich wie Rosinen im Kuchen haben sie für manche Esser/Leser zentrale Bedeutung, andere picken sie heraus, bzw. überlesen sie ungeduldig. Eine Kuss-Szene braucht einen besonderen Platz in der Handlung, und um den zu finden, sollten sich Autoren Gedanken über die Bedeutung des Kusses und die Beziehung der beteiligten Charaktere machen. Was ist also bei fiktionalen Küssen zu beachten?
Die Kuss-Szene – Ist der Kuss gut oder böse?
Lange bevor Autoren sich dem Kuss zuwenden, ist es nötig, dass sie über die Beziehung der Charaktere nachdenken. Ist die Beziehung gleichberechtigt oder kippt das Machtverhältnis gefährlich zu einer Seite? Wer profitiert (neben den Lesern) von dem Kuss? Wer riskiert etwas mit diesem Kuss?
Je nachdem ob der Kuss gut, böse oder neutral ist, benötigt er eine andere Behandlung. Neutrale Küsse benötigen kaum Beschreibung. Sie gehören in bestehende Beziehungen, in denen Küssen nichts Besonderes ist. Sie sind weder Sieg noch Niederlage. Allerdings lässt sich hinter einem scheinbar neutralen Kuss eine Absicht verstecken, etwa Verrat wie beim Judas-Kuss.
Bei bösen Küssen sollte das Machtverhältnis klar erkennbar sein, aber auch die Bereitschaft, sich dem bösen Kuss hinzugeben, ebenso wie der Widerstand, der gebrochen wird oder sich selbst bricht. Die Umstände und die Reaktionen der Beteiligten haben Bedeutung für die Handlung, zugleich machen sie Leser zu Komplizen in dieser manipulativen Beziehung.
Gute Küsse sind oft die, für die Charaktere über viele Seiten kämpfen mussten. Neben der emotionalen Seite haben sie eine befreiende Komponente. Sie sind eine Belohnung, ein Geschenk. In ihnen steckt das Potenzial, das Leben der Charaktere zu ändern. Gute Küsse können selbstverständlich auch böse Folgen haben, etwa wenn die Umgebung der Küssenden den Kuss als unangemessen wertet.
Kein Kuss fällt vom Himmel
Gleichgültig ob der Kuss befreiend oder manipulierend wirkt, benötigt er einen Kontext. Für Leser muss nachvollziehbar sein, warum die Charaktere küssen und weshalb der Kuss von den Protagonisten auf eine bestimmte Weise empfunden wird. Für Autoren bedeutet dies, dass sie auf den Kuss vorbereiten müssen, notfalls über mehrere hundert Seiten. Ohne Vorgeschichte, ohne Spannung beschreibt eine Kuss-Szene lediglich der Kontakt zweier Lippenpaare.
Neben den Emotionen der Charaktere spielt auch die Umgebung eine Rolle. Was nehmen sie wahr, was blenden sie aus? Was sehen die Leser, was erfahren sie durch die Linse der Charaktere? Die Umgebung lenkt die Aufmerksamkeit von den Mündern ab. Die zu beschreiben kann den Text leicht zu einem Ausschnitt aus einem Lehrbuch machen. Da der Mund ein sensibler und privater Bereich ist, laufen Autoren außerdem schnell Gefahr, Leser abzustoßen. (Was auch gewollt sein kann.)
Interessant finde ich die Nähe zum Blutsaugen in Vampirszenen, wie Malinda Lo in einem Blog-Beitrag beschreibt. Im Falle eines bösen Kusses ist das nachvollziehbar, insbesondere wenn Adjektive (nass) und Verben (trinken) weg von der romantischen Begegnung hin zur Nahrungsaufnahme führen.
Wenn Sie mehr über Kuss-Szenen lesen möchten, empfehle ich neben dem oben schon erwähnten Text „Writing about Kissing“ von Malinda Lo auch „Pucker Up: Writing a Kissing Scene“ von Elizabeth Preston.