Wichtige Charaktere brauchen einen Namen, typische Eigenschaften, eine Vorgeschichte, ein Ziel, ein Problem – kurzum, sie sind beladen mit den Ansprüchen der neugierigen Leser*innen und den Anforderungen der Handlung. Aber es gibt auch Nebenfiguren, die nur einmal in Erscheinung treten. Wie viel Eigenes benötigen sie?
Nebenfiguren – Was brauchen sie (strenggenommen)?
Um es klar zu sagen, gemeint sind mit Nebenfiguren Charaktere, die in einer Szene, und nur in dieser Szene, erscheinen und keine Rolle in der weiteren Handlung haben. Sie sind „Beiwerk“.
Beispielsweise hat es einen Unfall gegeben, die Protagonistin steht zwischen anderen Leuten und sieht das Unfallopfer am Boden. Eine Frau ruft Wir brauchen einen Arzt, ein Mann ruft Er atmet noch jemand anders fragt Hat jemand gesehen, was passiert ist? Die Protagonistin krempelt die Ärmel hoch, kniet nieder und bringt das Unfallopfer in die stabile Seitenlage. Aus Sicht der Protagonistin geht die Handlung jetzt weiter, sie befindet sich in einem Konflikt, weil sie ein wichtiges Vorstellungsgespräch hat, sich aber verpflichtet fühlt zu helfen. Die Nebenfiguren haben ihren kurzen Beitrag geleistet und verschwinden diskret.
Worin besteht der kurze Beitrag dieser Nebenfiguren? Sie machen die Szene glaubwürdiger. Nach einem Unfall laufen viele Leute zum Unfallort, weil dort etwas passiert ist, anderswo aber nicht. Sofort kommen Fragen auf. Fast immer fragt jemand Was ist passiert? Niemand stellt sich hin und gibt dieser Person eine detaillierte Antwort. Andere stellen Offensichtliches fest wie Er atmet noch. Mit etwas Glück kommt jemand auf die weiterführende Idee Wir brauchen einen Arzt. Oft genug ist es dann nicht diese Person, die den Notruf wählt. Aber alle Leser*innen kennen solche Situationen.
Mehr als ihren einen Satz brauchen Nebenfiguren nicht, um ihre Funktion zu erfüllen.
Nebenfiguren – Wann verlangen sie zu viel Aufmerksamkeit?
Die Aufgabe von Nebenfiguren ist es, eine Szene glaubwürdiger zu machen oder eine wichtige Information wie Er atmet noch zu liefern.
Wie viel Persönlichkeit vertragen sie, ohne sich zu sehr in die Handlung einzumischen? Ein Name macht eine Figur unverwechselbar. Wenn nicht mehr eine namenlose Person nach dem Arzt ruft, sondern Frau Müller, gehen Leser*innen davon aus, dass diese Nebenfigur eine wichtigere Rolle innehat. Sie sind verwirrt (Sollten sie sich an Frau Müller erinnern?) und erwarten, diese Person später wiederzutreffen. Wenn sie das nicht tun, sind sie wahrscheinlich nicht enttäuscht, aber trotzdem unzufrieden.
In einer Szene wie der oben angerissenen wären Namen für die Nebenfiguren unnötige Informationen. Trotzdem lassen sich Szenen vorstellen, in denen Nebenfiguren mehr Persönlichkeit benötigen.
In einer Konferenz diskutiert die Protagonistin mit der Chefin und dem Rest des Teams über ein Problem. Damit die Szene realistisch wirkt, sollten die Nebenfiguren Beiträge leisten dürfen. Befragen wir doch den Abteilungsleiter, schlug ein Kollege vor. Die Kunden sollten im vollen Umfang entschädigt werden, meinte eine Kollegin. Auf die Dauer wirkt dies langweilig und schwächt die wichtigen Beiträge der Protagonistin.
Befragen wir doch den Abteilungsleiter, schlug Achim vor. Er spekulierte schon lange auf dessen Posten. Die Kunden sollten im vollen Umfang entschädigt werden, meinte Kelly. Sie war für die Pressekontakte zuständig und hatte sich in den letzten Tagen spitzfindige Frage über die Unternehmenspolitik anhören müssen. Das liest sich für Leser*innen interessanter, gleichzeitig enthalten die kurzen Erklärungen nicht zu viele Informationen, die die Aufmerksamkeit von der Protagonistin ablenken könnten.
Trotzdem ist es in jedem Text neu zu entscheiden, wie viel Mehr an Persönlichkeit Nebenfiguren bekommen sollten.