Die Rückmeldung von Testleser*innen ist ernüchternd: Alle Charaktere sind sich zu ähnlich, keiner sticht hervor, niemand ist besonders. Das passiert leider schnell, wenn wir die Maßstäbe aus dem realen Leben an ein Team in die Welt der Literatur übertragen. Was im richtigen Lebens wünschenswert ist, macht einen Text langweilig.
Charaktere sind sich zu ähnlich – Was im richtigen Leben wichtig ist
Alle Teams im richtigen Leben profitieren von Harmonie unter den Teilnehmenden. Ob beim Sport, bei der Arbeit, in einem Chor – das Gemeinsame schweißt zusammen. Wenn alle an einem Strang ziehen, so hören wir immer wieder, bleibt der Erfolg nicht aus.
In einem Buch könnte der Erfolg beim Sport, bei der Arbeit oder in einem Chor auch von Harmonie profitieren. Aber um diesen Erfolg geht es nicht oder nicht nur. Jedes Buch braucht Reibung zwischen Charakteren, nicht nur zwischen denen, die auf verschiedenen Seiten stehen.
Wenn wir also intuitiv unsere Handballmannschaft, unser Housekeeping-Team oder unseren Opernchor nach Kriterien der Realität bestücken, droht Langeweile. Wir müssen aktiv nach Unterschieden zwischen ansonsten vergleichbaren Charakteren suchen und die Folgen dieser Unterschiede in der Handlung beleuchten.
Charaktere ähneln sich bis zu einem gewissen Punkt – die wunderbare Reibung
Auf der Suche nach einer Gruppe Charaktere mit Potenzial zur Reibung müssen wir einen Blick unter die harmonische Oberfläche werfen. Da schlummern die Gegensätze. Eine Handballerin, die heimlich Fußball spielt. Ein Messi im Housekeeping-Team, zu dieser Arbeit vom Jobcenter verdonnert. Die Flirts der Sängerin aus dem Opernchor mit Auftritten auf einem Hardrock-Festival. Krankheiten, eine kriminelle Vergangenheit oder eine unangemessene Liebschaft sind auch gravierende Unterschiede, die einzelne Teammitglieder von den anderen abheben. Solche Unterschiede haben die Neigung, sich in den ungünstigsten Momenten zu offenbaren. Das sollten wir uns zunutze machen.
Während das Team einem noch so bescheidenem Ziel folgt, lassen sich die Diskrepanzen irgendwann nicht mehr überspielen. Die Handballerin wird gefragt, ob sie in einem Punktspiel der Fußballmannschaft mitspielen kann, ausgerechnet am Tag eines wichtigen Handballspiels. Der Messi schafft es nicht, die Hygieneregeln in der Hotelküche umzusetzen. Eine Hochzeitsgesellschaft erkrankt an Salmonellen. Die Stimme der Sängerin im Opernchor ist am Tag vor der Premiere heiser durch den Auftritt auf dem Hardrock-Festival.
Jeder Charakter hat zudem seine oder ihre eigene Sprache, bevorzugte Wörter oder Sprüche. Auch das Weltbild der Charaktere, zumindest ihre Einstellung zu Kleinigkeiten des Alltags können differieren. Es hilft, sprachliche Besonderheiten und Ansichten für jeden Charakter festzuhalten, damit der Überblick nicht verloren geht.
Bei der Überarbeitung verdient jeder Charakter eine eigene Sitzung, bei der auf eine einheitliche Darstellung in Aussehen, Handeln und Sprache geachtet wird.