Das Schreiben des ersten Entwurfs bringt eine Geschichte erst ans Licht der Welt. Bisher schlummerten alle Bestandteile der Geschichte, alle Handlungsorte, alle Charaktere, alle Wünsche, Ängste und Verluste in der Fantasie. Nach dem Schreiben ist die rohe erste Version sichtbar, und mit ihr alle Probleme, die das Zusammenführen der Bestandteile mit sich gebracht hat. In mehreren Überarbeitungsschritten sollen diese Probleme gelöst werden. Oft sind die Teile einer Geschichte so verhakt und verworren, dass es kritische Distanz benötigt, um die Probleme zu erkennen und Lösungen zu entdecken.
Verhakt und verworren – die Struktur
Es passiert leicht, dass die Welt, in der die Handlung spielt, während des Schreibens immer interessanter wird. Statt sich mit den Charakteren in der Welt zu befassen, beschreiben wir die Welt, ihre Besonderheiten, ihre Verhältnisse. Die Charaktere geraten zu blassen Schatten auf einem farbenprächtigen Bild. Wenn dann zu viele Charaktere zu viele Informationen in ihrem eigenen Handlungsstrang behalten, zieht sich die Geschichte in die Länge. Gleichzeitig wird den Hauptcharakteren vorenthalten, was sie zum Handeln zwingen sollte.
Dieses Problem macht sich oft schon während des Schreibens bemerkbar, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Hauptcharaktere nicht vorankommen.
Bei der Überarbeitung sollte dann ein Teil der Beschreibung geopfert werden. Die Informationen müssen nicht verloren gehen. Die Charaktere können sie bereits besitzen oder aktiv sammeln. Nebencharaktere können zusammengelegt oder gestrichen werden.
Verstolpert und verzögert – das Tempo
Auch Probleme beim Tempo zeigen sich oft bereits während des Schreibens. Charaktere wandern über lange Kapitel ziellos herum, zum Ende, wenn wir es nicht länger ertragen können, beschleunigt sich das Tempo, die Charaktere entdecken alles Mögliche, kommen in zahlreiche Gefahren und hecheln dem Ende zu.
Wir müssen zunächst klären, was das Tempo am Anfang verzögert. Oft fehlt in den ersten Kapiteln der Druck zu handeln. Hören die Charaktere das Ticken einer Uhr, stehen sie unter dem Zwang weiterzukommen. Die zum Ende aufgesparten Ereignisse, die die Charaktere zum Handeln zwingen, können wir über die Kapitel verteilen, sodass die Charaktere eine Abfolge von Hochs und Tiefs ausgesetzt sind.
Verwirrt und verstellt – die Perspektive
Probleme mit der Perspektive fallen während des Schreibens nicht immer auf. Wenn wir schreiben, sind wir gleichzeitig in den Köpfen aller Charaktere. Wir kennen alle Perspektiven und wechseln mühelos zwischen ihnen. Ein kritisches Lesen des ersten Entwurfs kann dann zeigen, dass die verschiedenen Perspektiven den Text unübersichtlich machen und es schwerfällt, sich mit den wichtigsten Charakteren zu identifizieren.
In diesem Fall sollten wir wieder überlegen, welche Perspektiven wirklich notwendig sind und sie auf weniger Charaktere verteilen, die dann häufiger auftreten.
Natürlich kann genau das Gegenteil eintreten: Die Handlung verzögert sich, weil die Geschichte aus der Perspektive eines einzigen Charakters erzählt wird. Oft ist das in der Ich-Perspektive der Fall. Dieser Charakter muss alle Informationen selbst sammeln, von den Fakten über die emotionalen Erfahrungen. Hier hilft es, mehrere Perspektiven zu verwenden.