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Welche Lieblinge soll ich töten?

Lieblinge

Kill your Darlings — Töte deine Lieblinge — Das ist ein Spruch, der bei Schreibenden meistens ein ungutes Gefühl auslöst. Vieles in einem Manuskript wächst während des Schreibens ans Herz, trifft bei Beta-Leser*innen aber nicht auf Gegenliebe. Deshalb ist es wichtig zu klären, ob es sich um Lieblinge, die getötet, bzw. gestrichen gehören, handelt oder ob es wichtige Elemente des Textes sind, die Verbesserungsbedarf haben.

Was sind diese Lieblinge?

Die Bezeichnung Lieblinge legt nahe, dass es sich um Charaktere handelt. Charaktere kommen uns beim Schreiben oft nahe und wir entwickeln manchmal tatsächlich eine Art Liebesbeziehung zu ihnen. Aber nicht nur Charaktere kommen uns so nahe, dass wir ihre Wirkung und ihre Bedeutung für den Text nicht mehr richtig erkennen können.

Lieblinge können Szenen sein, bestimmte Formulierungen, manchmal auch Ideen, die Teile des Textes durchziehen. Das macht es nicht einfacher, sie zu identifizieren, denn wir verteidigen unseren Text vehement gegen Kritik. Der Text ist unser Baby, nicht das von Beta-Lern und Lektorinnen.

Wenn diese Personen, die den Text viel objektiver lesen können als wir, uns vorwerfen, dass wir an Lieblingen festhalten, müssen wir den Vorwurf ernst nehmen. Unsere Aufgabe besteht darin zu klären, ob die betroffenen Teststellen oder Charaktere tatsächlich Lieblinge sind oder einfach effektiver geschrieben werden müssen, damit ihre Bedeutung für das gesamte Buch klar wird.

Lieblinge sind nicht einfach überflüssiges Material, dass wir streichen sollen und nach einiger Ziererei auch streichen. Für uns haben diese Textstellen oder Charaktere eine persönliche Bedeutung. Vielleicht haben sie einen autobiografischen Bezug. Oder sie stammen aus einer Phase des Schreibens, in der wir einen besonderen Ansporn brauchten. In solchen Phasen greifen wir nach Ideen und verwenden sie als Ausgangspunkte für unsere Entdeckungsreisen. In vielen Fällen entwickeln sich Handlung und Charaktere weiter und benötigen diese ursprünglichen Ideen nicht mehr. Sie werden zu Ballast für den Gesamttext.

Ob sich hinter einer Textstelle ein Liebling verbirgt, entdecken wir oft erst, wenn wir auf Kritik an dieser Textstelle besonders heftig reagieren. Die Stärke unserer Emotionen ist ein Signal, dass wir die Kritik nicht einfach wegwischen dürfen.

Was töte ich meine Lieblinge?

Unsere Reaktion auf Kritik an bestimmten Textstellen ist ein Hinweis darauf, dass wir eine besondere emotionale Beziehung zu diesen Stellen aufgebaut haben. Die Kritik beruht in den meisten Fällen darauf, dass die Textstellen oder die Charaktere nicht zum gesamten Buch passen, also dass sie für die Leser*innen keine Bedeutung haben.

Wir sollten unsererseits nach der Bedeutung fragen. Benötigt das Buch diese Textstellen? Müssen die Leser*innen diese Charaktere kennen?

Im Falle von Charakteren ist die Antwort oft leichter gefunden. Wenn wir rational erkennen, dass ein Charakter für das Buch keine Bedeutung hat, es uns aber schmerzt, ihn auch nur zu verändern, dann ist der Charakter ein Liebling. Und wir müssen hart sein. Vielleicht reicht es, wenn wir den Charakter mit einem anderen Charakter zusammenlegen. Das können wir in Gedanken durchspielen. Alles, was wir dazu brauchen, ist Zeit und Ruhe. Möglicherweise hat der Charakter seinen Zwecke, den er während des Schreibens noch hatte, hinter sich gelassen. Dann sollten wir all unsere Grausamkeit einsetzen und den Charakter streichen. Oder ihn tatsächlich sterben lassen, wenn seine Funktion im Buch zum Ende kommt.

Auch Formulierungen sind leicht zu entfernen. Zwar ziehen sie sich manchmal durch das gesamte Buch, aber ein Überarbeitungsgang sollte das Problem lösen. Ähnlich ist es mit Szenen oder Kapiteln. Grundsätzlich sollten lange Passagen nie einfach gelöscht, sondern in einem extra Dokument gespeichert werden. Dort dürfen sie warten, bis wir uns eingestehen können, dass das Buch auf die Textstellen verzichten kann. Wenn wir so weit sind, löschen wir auch die „geparkten“ Textstellen.

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